Schillernd unscharfe Silhouette

Ein Mensch, dessen Leben sich gegen jeden Definitionsversuch stemmt: Das Literaturhaus gedenkt Hubert Fichtes

„Ich bin Chronist, und ich bin kein Strukturalist, kein Existenzialist, kein Philosoph und kein deutscher Schriftsteller und kein Ethnologe“ – der vor 70 Jahren geborene Hubert Fichte war zeit seines Lebens damit beschäftigt, sich all jene Etiketten wieder abzuziehen, die man allzu gerne auf das klebt, was man sich nicht so recht erklären kann.

Am 21. März wäre der 1986 in Hamburg verstorbene und auf dem Friedhof in Nienstedten begrabene Fichte 70 geworden, doch was er nun eigentlich war, das ist bis heute unklar. Wenn der Sohn eines jüdischen Kaufmanns und einer Souffleuse Philosoph war, dann war er genauso Schauspieler und Schafshirte, wenn man den Autor von Büchern wie Der Aufbruch nach Turku, Versuch über die Pubertät oder Die Palette einen Schriftsteller nennt, dann müsste man anfügen: Er war auch ein hervorragender Interviewer, wie es etwa Jean Genet oder die Prostituierten aus dem „Palais d‘Amour“ in seinen „St. Pauli Interviews“ erfahren durften.

Als Ethnologe könnte man Fichte außerdem bezeichnen, schließlich forschte er in den 70er Jahren in Bahia, Haiti und Trinidad. Aber ethnologisch sind Werke wie Lazarus und die Waschmaschine, Xango, Petersilie oder Psyche. Anmerkungen zur Psychiatrie in Senegal auch wieder nicht. Ethnopoesie wurde diese Literatur genannt.

Es ist unglaublich, was Hubert Fichte aus seinem kurzen Leben gemacht hat: In den nur 51 Jahren, die ihm blieben, bummelte er durch Frankreich, lernte Camus, Picasso und Chagall kennen, absolvierte ein Landwirtschaftsstudium, agierte als Darsteller am Theater, tagte mit der Gruppe 47, besuchte José Luis Borges in Argentinien, las 1962 im Hamburger „Star-Club“ und interviewte Salvador Allende. Er hatte Lehraufträge in Klagenfurt und Bremen – und er hörte nicht auf forschend zu reisen: Tansania, Äthiopien, Senegal, Haiti, die Dominikanische Republik, Trinidad, die Galapagos-Inseln, Togo, Venezuela, Mexiko, die Bermudas, Panama, Nicaragua und Kolumbien sind nur einige Stationen eines Lebens, dass 1986 durch Lymphdrüsenkrebs endete.

Fichtes Leben und Werk gehören zu den schillerndsten Hervorbringungen der deutschen Nachkriegsliteratur, vor allem auch, weil in seinem Werk die Gegensätze der Genres und Stile, der wissenschaftlichen Disziplinen, auch die Gegensätze von Hoch- und Populärkultur aufgelöst erscheinen. „Er brach Tabus, ohne sie je zu entzaubern“, schrieb Karsten Witte über Fichte, dessen bekannter Satz über den religiösen Synkretismus auch für ihn selbst gilt: „Synkretismus heißt ... ja nicht nur die Vermischung der religiösen Gebräuche der Yoruba, Fon, des Kongo, der Ewe, Woloff, der Abakua, der Kromanti, der Mandinka mit denen der Katholiken, Protestanten und Anglikaner, mit Hinduismus, Buddhismus, Spiritismus und den Riten der Indianer und der Äthiopen – Synkretismus heißt immer auch Vermischung von Lebenskategorien und Lebensformen: Herrenhaus und Sklavenhütte, Menschenfresserei und Duldsamkeit, Machismo und Schwulität, Innigkeit und Kommerz. Synkretismus heißt hier aber vor allem Exil.“

Um all das geht es am „Hubert-Fichte-Abend“ im Literaturhaus, vor allem auch um den 2. Oktober 1966, als Fichte im Star-Club nach den Worten „Hier ist mein Sound!“ eine literarische Performance auf die Bühne legte, von der man heute sagt, sie sei das erste Manifest einer bundesdeutschen Popliteratur. Den Abend beschließen Hörproben aus der im März erscheinenden Produktion „Hubert Fichte: Hörwerke“. Marek Storch

Mo, 21. 3., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38