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: Schlingensief in höfischer Gesellschaft

Leere Töpfe, leere Kassen, arme gebeutelte Kultur – man kennt die Leier, und man kennt die Lösung: Füllt Herr Schlingensief eine Pute in den Römertopf, so füllen sich zwangsläufig auch die Kassen und die Häuser. Kein Platz blieb unbesetzt, als am Montag Abend unser aller Kulturguerillero im Kölner Schauspielhaus sein neues Tourneeprogramm präsentierte. Noch auf den Treppenstufen saßen sie, die Apostel des Zeitgeistes, lauter Leute, die man sonst nie im Theater sieht, und warteten auf die Wiederkehr ihres immer noch hippen Messias.

Er kommt denn auch und schneidet Zwiebeln. Gibt sich als Hausmann, verspricht: „Keine Provokationen heute“ und legt die gerupfte Pute zu Zwiebeln und Karotten aufs Fenchelbett. Schiebt dann den Römertopf in die Röhre, bei 180 Grad. Während der Vogel vor sich hin schmort, läuft im Hintergrund die DVD „Kunst und Gemüse“: Schauspieler randalieren in der Obstauslage, ficken in Fenchel, wälzen sich in Wurzeln und fragen: „Was sind moderne Menschen?“ Offenbar wild auf Vitamine.

Das Publikum liebt seinen Helden. Schon beim Schneiden der Zwiebeln hört man erregtes Kichern und Glucksen (schließlich wollen bis zu 20 Euro Eintritt genussvoll abgefeiert sein). Legt der Meister grob gezimmerte Gemüse-Ironien nach („Je länger man den Kern verschleiert, desto länger ist man im Geschäft“), gibt es viel Lachen und Applaus. Die Freude ist groß. Die Freude worüber? Na, dass alle hier sind und zusehen, wie dort vorn Herr Schlingensief das Messer wetzt – unser Garant für rasierklingenscharfe Postmoderne, unser schneidiger Rent-a-Provokateur, der die Republik spaltet wie zwei Fenchelhälften.

Doch hier geht es nicht um Postmodernes, nicht um Provokantes und schon gar nicht um Gemüse. Es geht um Anwesenheit und die höfische Gesellschaft. In Versailles hatte der Adel präsent zu sein und dem Sonnenkönig am Leibstuhl zu assistieren. Nur daraus bezog er Bedeutung. Wir hören zu, wenn Herr S. vom Kacken in der Kunstausstellung spricht. Daraus beziehen wir Bedeutung. Er ist die Sonne, die coole Leute heiß macht, unser intellektueller Fluchtpunkt, der da ist, weil wir da sind. Und wir sind da, weil er da ist. Redundanz, dein Name sei Schlingensief. Und das ist schon alles. HOLGER MÖHLMANN