Aus den Augen, nicht aus dem Sinn

Obwohl sein Opfer abgeschoben wurde und im Prozess nicht mehr gegen ihn aussagen konnte, verurteilte das Harburger Amtsgericht gestern einen Mann, der seine 26-jährige Frau eingesperrt und wiederholt geschlagen haben soll

Von Yasemin Ergin
und Elke Spanner

Das Harburger Amtsgericht hat gestern einen Mann wegen der Misshandlung seiner Frau verurteilt, obwohl sie selbst vor Gericht nicht gegen ihn aussagen konnte – sie wurde im Mai 2004 vor Prozessbeginn nach Mazedonien abgeschoben. Dennoch sieht das Gericht ihre Geschichte als erwiesen an: Fahriye S. hatte diese vor ihrer Abschiebung gegenüber der Polizei zu Protokoll gegeben, und das Gericht attestierte ihr gestern Glaubwürdigkeit. Amir I. kommt wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung ein Jahr und zehn Monate in Haft. Noch im Gerichtssaal klickten die Handschellen.

Während die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten gefordert hatte, hat der Rechtsanwalt von Amir I., Winfried Günnemann, auf Freispruch plädiert. Die polizeiliche Aussage vor der Polizei, führte er aus, sei nicht verwertbar, weil die Ermittler bei der Vernehmung einen Fehler begangen hätten: Er nämlich war als Anwalt des Beschuldigten nicht hinzugezogen worden. Deshalb aber hatte das Amtsgericht versucht, Fahriye S. für eine erneute Aussage aus Mazedonien vorzuladen. Das war nicht möglich: Ein Arzt hatte sie wegen einer psychischen Erkrankung für nicht reisefähig erklärt. Daraufhin führte das Amtsgericht das polizeiliche Aussageprotokoll in das Verfahren ein.

Das 26-jährige Opfer war in Mazedonien nach muslimischer Tradition mit Amir I. getraut worden und Ende 2002 ohne gültige Papiere in Deutschland eingereist. Hier wurde sie nach Überzeugung des Gerichtes von Amir I. in der Wohnung eingesperrt und wiederholt geschlagen, mehrfach auch mit Gegenständen wie Gürtel und Nudelholz. Mit einem Sprung aus dem Fenster versuchte die schwangere Frau schließlich, ihrem Leiden ein Ende zu setzen. Sie erlitt einen Beckenbruch und eine Fehlgeburt.

Dass Fahriye S. nunmehr offenbar psychisch erkrankt ist, nahm Anwalt Günnemann zum Anlass, ihr mangelnde Glaubwürdigkeit zu unterstellen. Eine psychologische Gutachterin hingegen führte aus, dass der Fenstersprung eine suizidale Handlung als Folge von Misshandlungen war, Hinweise auf psychische Störungen gebe es nicht. Während ihres Krankenhausaufenthaltes nach dem Fenstersprung waren großflächige Blutergüsse festgestellt worden, die offenkundig von Misshandlungen herrührten. Auch der Vorwurf der Freiheitsberaubung wurde durch die Polizei, die nach dem Fenstersprung den Tatort untersuchte, bestätigt.

Die Staatsanwaltschaft hatte anders als die Verteidigung keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers. Alle Aussagen seien stimmig und passten ins Bild der von der Geschädigten dargestellten Leidensgeschichte. Die junge Frau sei zur Heirat mit Amir I. gezwungen und von ihrer Familie unterdrückt worden, was den Mangel an expliziten, den Angeklagten belastenden Zeugenaussagen erkläre.

Der Amtsrichter bedauerte in seiner Urteilsbegründung, dass das Gericht nicht „hinter die ganze Wahrheit“ gekommen sei. Und fügte hinzu: „Es mag sein, dass es in Mazedonien Standard ist, wenn Männer Frauen wie ihren Besitz behandeln.“ Das Motto „andere Länder, andere Sitten“ gelte aber in einem so schweren Fall von Misshandlung und Unterdrückung nicht.