Altenpflege wird gedeckelt

Im Ruhrgebiet und im Münsterland fürchtet niemand den kommenden Pflegenotstand, auf den die Enquete-Kommission alarmierend hinweist. Dabei werden kaum AltenpflegerInnen ausgebildet

VON NATALIE WIESMANN

Der bevorstehende Pflegenotstand löst im Ruhrgebiet keine Panik aus. „Der ganze Pflegebereich ist im Umbruch“, sagt Elsbeth Kosthorst, die bei der Caritas Essen die Abteilung „Soziales und Gesundheit“ leitet. Sie reagiert gelassen auf den gestrigen Abschluss der Enquete-Kommission des Landtags, der für Großstädte im Revier bis zum Jahre 2020 etwa 20 Prozent mehr Pflegebedürftige als heute prognostiziert: „Durch die Erweiterung der EU werden wir unseren Bedarf an Altenpflegerinnen decken können“, sagt sie. Außerdem steige mit der Zahl der Arbeitslosen auch die häusliche Pflege: „Viele Arbeitslose holen ihre Angehörigen aus dem Altenheim nach Hause und pflegen sie selbst“, so Kosthort.

Der Bericht der Enquete-Kommission sieht nicht den Trend zur familiären Pflege, im Gegenteil: Gerade die Frauen, die traditionell für die Pflege ihrer Männer, Eltern und Schwiegereltern zuständig sind, werden in Zukunft nicht mehr bereit stehen, weil sie berufstätig sind. Auch in ländlichen Gegenden, wo das Familienband noch stärker scheint, ist alles im Umbruch: Im Münsterland soll in 15 Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen um bis zu 65 Prozent steigen.

Heinz Samberg, Leiter des Altenheimes „Sankt Josefshaus“ in Rheine macht die Prognose auch nicht unruhig: Er hält den Caritas-Verband, dem sein Haus angehört, für gut aufgestellt. „Wir haben ständig Plätze in unseren Altersheimen frei“, sagt er. „Gravierend“ werde die Situation sicherlich erst in 10 Jahren. Mehr Pflegepersonal als jetzt könne sein Heim aber nicht ausbilden. „Wir haben sieben Azubis, die müssen wir ja auch begleiten.“ Außerdem müsse er nach einem neuen Gesetz von 2003 auch die Vergütung der Auszubildenden selbst zahlen.

„Das Land deckelt die Zuschüsse für Azubis“, sagt Britta Anger, Geschäftsführerin im Bereich Altenarbeit der Diakonie Westfalen. Die Landesregierung bezahlt die Altenpflegeschulen für den theoretischen Teil der Ausbildung. Landesweit stellt sie aber nur 2.000 Plätze zur Verfügung. Auch die Bedingungen für eine Weiterbildung zum Altenpfleger haben sich geändert: „Die Arbeitsagenturen zahlen nur noch zwei Jahre der Ausbildung, die aber drei Jahre dauert“, sagt Anger. Wie viele ihrer KollegInnen fordert Anger eine generalistische Ausbildung, die es möglich macht, auch als Krankenpfleger oder Kinderpfleger zu arbeiten. „Das könnte die Fluktuation vieler aus dem sozialen Bereich verhindern.“

Ein paar kleine Reformen reichen Elke Knorr, Leiterin der Altenpflegeschule im Kreis Heinsberg, nicht. „Da muss sich drastisch etwas ändern, sonst müssen wir uns in ein paar Jahren vorwerfen, wir haben alles kommen sehen und keiner hat was dagegen getan.“ In Heinsberg wird nach dem Bericht der Enquete-Kommission der höchste Zuwachs an Pflegebedürftigen prognostiziert, 68 Prozent in 15 Jahren. „Wir haben keinen Nachwuchs, weil die Altersheime wenig ausbilden und das Land uns deckelt“, sagt sie. Außerdem biete die Bundesagentur für Arbeit neue „Trainingsmaßnahmen“ für Arbeitslosengeld II-EmpfängerInnen „mit und ohne Vorerfahrung“ an, die in acht Wochen zum Krankenpfleger ausgebildet werdensollen. „Diese Ein-Euro-Jobs gefährden die Qualität der Altenpflege“, so Knorr.

Die Landesregierung ist alles andere als schockiert über die Prognosen der Enquete-Kommission. Sozialministerin Birgit Fischer (SPD) begrüßte gestern den Bericht: „Die enthaltenen Empfehlungen unterstützen mein „Aktionsprogramm Pflege NRW“. Dazu gehört unter anderem die gesetzliche Erleichterungen beim Bau von Pflegeheimen 20.000 Pflegeplätze sind laut Fischer dadurch entstanden oder „konkret in Planung“.