Radikale Teilhabe

In den Sophiensælen erklärte Johannes Stüttgen, warum Joseph Beuys kein Sympathisant des RAF-Terrorismus war

Wahrscheinlich wird Johannes Stüttgen häufig für Vorträge über Joseph Beuys und die RAF gebucht. Anders kann man kaum erklären, wie der 60-jährige Düsseldorfer Künstler, der früher Geschäftsführer der von Beuys mitgegründeten Free International University (FIU) war und heute Gesellschafter beim Omnibus für Direkte Demokratie in Deutschland ist, im Plauderton zwei Stunden darüber spricht, wo die Verbindungslinien zwischen Kunst und Terrorismus in den Siebzigerjahren lagen. Deshalb ist er auch als Eröffnungsredner für die Veranstaltungsreihe in den Sophiensælen ausgewählt worden, mit der die Kunst-Werke ihre RAF-Ausstellung flankieren. Denn im Vortrag soll sich das Verhältnis klären, über das seit der Eröffnung Ende Januar spekuliert wird: Hat die Kunst etwas zum Terrorismus zu sagen? Und auf welche Seite schlägt sie sich dabei – lässt sie sich auf die Opfer ein oder zeigt sie nur die Sichtweise der Täter?

Stüttgen geht solchen Polarisierungen bewusst aus dem Weg. Sein Blick auf Beuys ist grundsätzlicher Art, er sieht in dessen künstlerischer Arbeit eine unentwegte Auseinandersetzung mit Gesellschaft, Demokratie und Freiheit. Die RAF ist da nur ein Stolperstein unter vielen: Stüttgens Analyse beginnt noch vor den Studentenunruhen mit den ersten Beuys-Aktionen um 1964, und sie endet mit einer Forderung nach mehr Selbstverwaltung an den heutigen Universitäten, die seiner Meinung nach für mehr kritisches – und kreatives – Bewusstsein notwendig ist.

Vor dieser Frage stand auch Beuys, als er 1972 zur documenta eingeladen wurde. Statt Skulpturen zu präsentieren, entschied sich der Kunststar für ein hunderttägiges Spektakel: Beuys war während der gesamten documenta anwesend, um mit Besuchern über seine Ideen von direkter Demokratie zu diskutieren. Morgens um neun Uhr nahm er an einem Schreibtisch Platz, wartete auf Gäste und redete, redete, redete. Irgendwann kam auch der Fluxus-Künstler Thomas Peiter zu Besuch, der sich als Dürer verkleidet hatte, die beiden freundeten sich an und eines Tages rief ihm Beuys zu: „Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die dokumenta“. Peiter schrieb den Spruch auf gelbe Pappschilder und trug die Botschaft auf dem Ausstellungsgelände umher, bevor die Tafeln im Raum von Beuys als Aktions-Objekte an die Wand gestellt wurden – so entstand das neben Gerhard Richters „RAF-Zyklus“ bekannteste Kunstwerk zum Terrorismus.

War Beuys damit schon Sympathisant? Stüttgen erklärt das Problem als Wesenszug des Beuys’schen Denkens. Als Vertreter eines radikalen Freiheitsbegriffs wollte Beuys niemanden ausschließen – auch nicht die in Gewaltfragen verirrten Terroristen, wie Stüttgen betont. Dagegen sollte mit der Kunstaktion gerade gezeigt werden, dass der Terrorismus Teil des unterdrückerischen „Schweinesystems“ (Stüttgen) war, von dem es sich freizumachen galt. Gleichzeitig überschattete die Festnahme von Baader und Meinhof im Sommer 1972 tatsächlich die gesamte documenta. Insofern versuchte Beuys damals auch, die Energien des gesellschaftlichen Furors in künstlerische Bahnen zu lenken. Das mag utopisch oder naiv gewesen sein, ändert aber nichts daran, dass Beuys sich mit seiner Aktion auf das Feld der Kunst beschränkte – und eben nicht die politische Nähe zur RAF suchte. HARALD FRICKE