Schmutzige Geschäfte mit viel Schrott

Obwohl es verboten ist, exportieren Industrienationen jedes Jahr Unmengen unbrauchbarer Elektronikgeräte, nach Indien beispielsweise ausgediente Computer. Das Ausschlachten der hochgiftigen Altgeräte ist gefährlich – und mafiös organisiert

AUS NEU-DELHI FRANK HARTMANN

Muslimviertel Selampur in Neu-Delhi: Vor den Häusern stapeln sich ausgeschlachtete Computertastaturen zweieinhalb Meter hoch. Daneben sind hunderte leere Monitorgehäuse zu langen Reihen ineinander geschoben. Von Elektronikschrott leben mehr als 100.000 Menschen in der indischen Hauptstadt. Ein Großteil des PC-Mülls stammt aus den Industrieländern – obwohl dies eigentlich verboten ist.

Die Besitzer der Kleinbetriebe betreiben ihr schmutziges Geschäft hinter meterhohen Mauern und verriegelten Eisentoren. Links und rechts der unbefestigten Wege schimmern Teiche und Wasserlachen giftgrün, türmen sich undefinierbare Plastikreste, schwelende Schlacke-, dunkle Aschehaufen. Beißende schwarze Rauchschwaden überziehen weite Teile des Viertels.

Hinter den Mauern stehen alte Fässer, voll gestopft mit Computerkabeln. Arbeiter brennen ohne Atemschutz die Isolation herunter, um die Kupferdrähte freizulegen – pro Tag rund eine Tonne. Andere gewinnen für ihre Chefs winzige Gold- und Silberteilchen – die Legierungen werden in Säurebädern herausgeätzt. Ein lohnendes Geschäft: In den USA kostet das Recyceln eines PC bis zu 20 Dollar pro Stunde. In Indien verdienen die Arbeiter umgerechnet höchstens 1 Dollar am Tag.

Ein Mann kommt angeradelt, steigt vor dem Haus von seinem dreirädrigen Lastenfahrrad, lädt dutzende der Gehäuse auf die hölzerne Ladefläche. Auf die Frage, wohin er die Ladung bringe, antwortet er abweisend: „Woandershin.“ Für Experten vor Ort, wie Peter Henschel von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), verhält sich der Mann typisch. Denn das Netz von Leuten, die Computerschrott illegal exportieren, verteilen, ausschlachten und weiterverwerten, „weist mafiose Strukturen auf“, sagt Henschel.

Bei der Produktion eines handelsüblichen Computers mit Monitor werden bis zu 3.500 Materialien verarbeitet, darunter 40 verschiedene Kunststoffe. Die Geräte enthalten Gifte wie Blei, Cadmium, Arsen, Brom und Quecksilber. Einige Industrienationen exportieren große Teile ihres Elektronikschrotts – „getarnt als Geschenke oder Gebrauchtgeräte“, sagt Ravi Agarwal, Direktor des indischen Informationszentrums Toxics Link. Abnehmer sind vorwiegend China, Pakistan und Indien. Fachleute gehen davon aus, dass weltweit bis zu 20 Prozent der Schrottcomputer weiterexportiert wird. Im Internet gibt es indische Websites mit detaillierten Anweisungen, wie die illegale Ware zu deklarieren sei, damit sie den Zoll problemlos passiert.

Gyaneshwar Sharma ist diensthabender Arzt in der 24-Stunden-Ambulanz des Industriegebietes von Mandoli. Als er nach der Tagesschicht vor die Eingangstür tritt, blickt er auf dunkle Rauchwolken zu seiner Linken, keine fünfhundert Meter entfernt: „Die Betriebe hier verseuchen das Wasser, den Boden und die Luft – also zwangsläufig auch die Menschen.“ Die Unternehmer investierten keine einzige Rupie in Schutzmaßnahmen.

Die Basler Konvention, ein UNO-Abkommen von 1989, verbietet den Giftmüllexport in Entwicklungsländer. Doch nicht jede Regierung hat die Konvention ratifiziert. Es fehlen bis heute Afghanistan, Haiti und, deutlich schwerwiegender, die USA. Toxics Link hat nachgewiesen, dass Neu-Delhi zu den weltweit größten Entsorgungsplätzen für illegal eingeführte Geräte gehört.

Der indische Zoll sei zu schwach, der „E-Waste“ nicht richtig definiert, „noch bestehen Vorschriften für die fachgerechte Entsorgung von Computern“, sagt GTZ-Mann Henschel. Beratungsprojekte und Studien sollen der indischen Regierung helfen, entsprechende Vorschriften zu erarbeiten und ihre Umsetzung praktikabel zu machen.

In Deutschland haben sich bereits 120 Hardware-Hersteller zusammengetan, um die Entsorgung gemeinsam zu regeln. Hier gilt mit dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz ab März 2006 das von der EU vorgegebene Verursacherprinzip: Hersteller und Importeure müssen dann für die Entsorgung zahlen. Ausgediente Geräte sollen sie zurücknehmen und in Recylingcentern verwerten. Zudem dürfen Neugeräte ab Juli 2006 keine besonders gefährlichen Stoffe wie Blei oder Cadmium mehr enthalten.

Der Westen mit seiner Wegwerfmentalität könnte aber noch viel lernen, denn ein großer Teil der entsorgten Computer ist noch betriebsfähig, meint Henschel: „In diesem Punkt sind uns die Inder um viele Jahre voraus.“

www.toxicslink.org