Der nächste Rekord wackelt schon

Tobias Unger benötigt in Madrid 20,53 Sekunden für 200 m und wird damit Hallen-Europameister. Nun will der schnelle Schwabe im Sommer die 19 Jahre alte Freiluft-Bestmarke von Frank Emmelmann knacken

BERLIN taz ■ Der schnelle Held war müde, und ein bisschen konnte man das verstehen: In der Nacht davor hatte er vor lauter Aufregung nur dürftig geschlafen, in der Nacht danach war es dieses unbändige Gefühl des Glücks, das ihm die Augen offen hielt. Da konnte es so richtig nicht verwundern, dass Tobias Unger gestern Morgen etwas mitgenommen aussah, als er am Flughafen in Madrid eincheckte für seinen Rückflug nach Stuttgart. Aber das spielte natürlich nicht wirklich eine Rolle, denn wichtig war nur, dass er am späten Nachmittag des Vortages ausgeschlafen erschienen war. Und das war der 25-jährige Sprinter von der LAZ Kornwestheim-Ludwigsburg, wie er im Palacio de Deportes zu Madrid aller Welt gezeigt hatte: 200 m war Unger da gerannt, 20,53 Sekunden hatte er dafür benötigt. Damit gewann er nicht nur den Titel des Hallen-Europameisters, sondern unterbot auch den bereits seit Ende Februar von ihm gehaltenen deutschen Rekord (20,56). „Das ist mein schönster Tag“, beschrieb der schnelle junge Mann seine Gefühlswelt später gegenüber den Reportern, und auch das konnte so richtig nicht verwundern.

Dabei besteht durchaus Anlass zur Hoffnung, dass Tobias Unger noch den einen oder anderen „schönsten Tag“ in seinem Leben feiern kann, er ist ja erst 25. Als Sprinter ist man damit noch entwicklungsfähig, und zumindest bislang konnte sich Tobias Unger von Jahr zu Jahr ein wenig steigern. Auch als Europameister möchte er damit nicht aufhören, ganz im Gegenteil: „Die Goldmedaille gibt mir Rückenwind für die Freiluftsaison“, sagt er.

Schon vor dieser ist der schnelle Schwabe freilich einer der wenigen Lichtblicke in der zuletzt doch etwas düster gewordenen Welt der deutschen Leichtathletik. Und in welche Dimensionen Unger bereits vorgestoßen ist, zeigt ein Blick in die Geschichte – und auf jene, mit denen er sich dort messen lassen muss. Der letzte deutsche 200-m-Halleneuropameister vor ihm beispielsweise hieß Erwin Skamrahl – und gewann seinen Titel vor 23 Jahren in Mailand. Sein Vorgänger als deutscher Rekordmann wiederum war Ralf Lübke, im Jahr 1984 war der 20,57 Sekunden über 200 m gelaufen. Und auch das nächste „Opfer“ hat sich Unger bereits ausgekuckt. Es heißt Frank Emmelmann, stammt aus Magdeburg, und hält seit 19 Jahren den deutschen 200-m-Freiluftrekord, bei 20,23 Sekunden steht der seitdem. Jetzt sagt Tobias Unger: „Ich denke, dass ich in einem guten Rennen 20,20 oder schneller rennen kann.“ Gut möglich, dass Emmelmanns Rekord den Sommer nicht übersteht.

Noch liegt Ungers Bestzeit bei 20,30 Sekunden, aufgestellt bei den Olympischen Spielen letzten Sommer in Athen. Es war ein großes Abenteuer für den Schwaben, und es hat ihm vor Augen geführt, wie weit er es schon gebracht hat als Sprinter, nämlich mitten hinein in die Weltspitze. Als in Athen jedenfalls das 200-m-Finale gestartet wurde, standen auf dem roten Tartan des Olympiastadions sieben schwarze Männer und ein weißer – und noch vor dem Startschuss war somit klar, dass Unger der beste weiße 200-m-Läufer dieser Spiele sein würde. Das hat Tobias Unger, der am Ende Siebter wurde, zwar keine Medaille eingebracht, ein kleiner persönlicher Sieg aber war es dennoch. Fast so schön wie der am Sonntag in Madrid. KET