Integration in der Abseitsfalle

Türkische Fußballvereine warten vergeblich auf deutsche Mitglieder und werden auf dem Platz noch immer angefeindet. Ein Neuköllner Club denkt darüber nach, sich einen deutschen Namen zu geben

VON PATRICK BAUER

Fußball, findet Hüseyin Cay, ist der bessere Werteunterricht. „Ich versuche, die Spieler so wie meine Kinder zu erziehen“, sagt der Jugendleiter des Berliner Fußballvereins Hürtürkel. Gegenseitiger Respekt und Teamgeist seien wichtiger als Tore, und wer nicht pünktlich zum Spiel erscheint, sitzt beim Anstoß neben Cay auf der Bank. Besonders stolz aber ist Cay darauf, dass seine Mannschaft im Training, in der Kabine oder auf dem Platz nur Deutsch spricht – obwohl oft kein einziger Deutscher bei ihm spielt.

Genau da liegt das Problem, das Hürtürkel mit den anderen türkischen Fußballvereinen aus Berlin teilt: Selbst multikulturelle Bereicherung des Breitensports, mühen sie sich vergeblich, multikulturell zu werden. „Schade ist das“, sagt Cay, „aber die Eltern haben oft Angst vor nichtdeutschen Vereinen.“

Auf dem Platz von Hürtürkel am Columbiadamm in Neukölln trainieren 18 Mannschaften, 13 davon sind Jugendteams. Nicht zuletzt dank Hüseyin Cay ist die Jugendarbeit von Hürtürkel in ganz Berlin bekannt und geschätzt. Und trotzdem, beklagt Cay, würde sein Verein auf die türkische Herkunft reduziert.

„Ich verwende das Wort ausländische Vereine nicht mehr, ich sage: Vereine nichtdeutscher Herkunft“, erklärt Mehmet Matur, der Vorstandsmitglied beim Berliner Fußballverband ist, dort die Integrations-AG leitet und anlässlich der Ausstellung „Neukölln bewegt sich“ im Museum Neukölln mit Cay über die Situation türkischer Vereine diskutierte. „Deutsche in türkischen Vereinen gibt es kaum, Türken in deutschen Vereinen dafür immer mehr“, sagt Matur.

Das wäre noch in den 80er-Jahren undenkbar gewesen. Als in Berlin 1978 der erste türkische Verein, Türkspor, gegründet wurde, war die Reaktion des Verbands schizophren. Auf der einen Seite sah man solche Migrantenvereine nur als Übergangslösung, auf der anderen Seite gab es in vielen deutschen Sportclubs eine Ausländerbeschränkung von 30 Prozent.

Bei Hürtürkel überlegt man mittlerweile, sich einen deutschen Namen zu geben – nur, um nicht als „die Türken“ zu gelten. „Wir werden deutsche Trainer und Funktionäre holen, um auch für Deutsche attraktiver zu werden“, sagt Hüseyin Cay. Mehmet Matur unterstützt solche Bemühungen. Erst kürzlich sprach er mit Funktionären des palästinensischen Vereins „Al Quds“ – zu deutsch: Jerusalem. Solche provokanten Vereinsnamen hält er „für unnötig und kontraproduktiv“. Allerdings seien politisch oder religiös motivierte Vereine im Berliner Fußballverband nicht vertreten.

Vielleicht würde sich Hüseyin Cay mit einem deutschen Vereinsnamen bei Auswärtsspielen sicherer fühlen. Schon dreimal musste Hürtürkel in den vergangenen vier Jahren im Ostteil der Stadt unter Polizeischutz spielen. Beschimpfungen und Beleidigungen auf dem Platz und am Spielfeldrand sind die Regel: „Früher war man toleranter als heute.“ Mehmet Matur weiß auch warum: „In den 70er-Jahren war man noch exotisch, da wurde ich von meinen Mitspielern gnadenlos verteidigt.“

Heute finden in Berlin jedes Wochenende etliche deutsch-türkische Duelle statt, und beide Seiten wissen, wie sie den Gegner am besten provozieren können. Während für türkische Spieler eine Beleidigung oft schlimmer ist als jeder Tritt gegen das Schienbein, reicht bei den deutschen Gegner meist die Bezeichnung „Nazi“, damit sie die Nerven verlieren. Hüseyin Cay hat seiner Mannschaft deshalb verboten, während des Spiels mit dem Schiedsrichter oder dem Gegner zu kommunizieren.

Angesichts solcher Probleme verwundert es, wenn Mehmet Matur sagt: „Der Sport leistet viel für Integration. Mehr als die Politik.“ Und auch Hüseyin Cay schwärmt: „Der Fußball hat nur eine Sprache.“ Eine Sprache, die zwischen Deutschen und Türken offensichtlich recht ruppig sein kann. Karin Korte, Migrationsbeauftragte in Neukölln, ist von den Anfeindungen auf dem Platz nicht überrascht: „Auch auf der Straße gibt es Probleme, erst recht also in solchen Wettkampfsituationen.“ Zumal Fußball traditionell ein kampfbetonter Sport ist, in dem auch auf höchster Ebene keine Nettiquetten gelten. Korte meint aber, dass Auseinandersetzungen im Sport „viel eher in den Griff zu bekommen sind“. Sie sieht im gemeinsamen Eifer um den Ball daher eine „wunderbare Chance, bei der es nicht auf Sprache und Bildung ankommt“.

Mehmet Matur erinnert an Türkiyemspor, den bekanntesten türkischen Club Berlins: Als dieser Anfang der 90er-Jahre fast in die zweite Liga aufstieg, war ganz Kreuzberg, ob deutsch oder türkisch, euphorisiert. Der Fußball schuf eine gemeinsame Identität. Vor ein paar Tagen sprach Matur mit türkischen Jugendlichen eines Weddinger Fußballvereins, die am Wochenende gegen ein Kreuzberger Team spielen sollten. „Die haben mir gesagt: Diesen Scheißkreuzbergern zeigen wir mal, was der Wedding kann.“