Blumen für die Soldaten

70.000 vorwiegend junge Menschen demonstrieren in Beirut gegen Syrien und die eigene Regierung. Die erklärt am Abend überraschend ihren Rücktritt

AUS BEIRUT CHRISTINA FÖRCH

Rund 70.000 Menschen haben gestern in der libanesischen Hauptstadt Beirut demonstriert. Ihre Forderung: Rücktritt der Regierung. Gleichzeitig hatte die Bürgerbewegung zu einem Generalstreik aufgerufen. Der Anlass: Oppositionelle Abgeordnete wollten gestern im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Doch schon am frühen Abend konnten die Demonstranten einen schnellen Erfolg vermelden. Die Regierung unter Omar Karami erklärte überraschend ihren Rücktritt.

Tausende vorwiegend jugendliche Demonstranten hatten sich bereits am Sonntagabend auf dem Märtyrerplatz und neben der Mohammed-al-Amin-Moschee versammelt, in der Hariri begraben liegt. Die Regierung hatte nämlich für gestern ein absolutes Demonstrationsverbot verhängt und die Armee angewiesen, alle Zufahrtsstraßen nach Beirut sowie das Stadtzentrum hermetisch abzuriegeln. Dass die Jugendlichen sich einfach einen Tag früher am Märtyrerplatz versammeln und ihre Zelte aufbauen würden, damit hatte wohl niemand gerechnet.

Die Futuristen, wie die Anhänger Hariris genannt werden, campierten unter dem Vordach neben Hariris Grab. Es kursierten Gerüchte, dass um fünf Uhr morgens die Armee das Sit-in räumen würde, aber es kam zu keinerlei Zwischenfällen. Unter den Demonstranten herrschte die ganze Nacht bis zum nächsten Tag Partystimmung. Und den Märtyrerplatz tauften sie kurzerhand in „Freiheitsplatz“ um.

Trotz der Absperrungen fanden die Oppositionellen gestern Morgen immer wieder Wege, auf den Platz zu gelangen. Außerdem versammelten sich hunderte Menschen an den Checkpoints der Armee. Nach mehreren Stunden öffneten die Soldaten dann die Sperren – eine offensichtliche Missachtung ihres Befehls. Vielerorts kam es zu Verbrüderungen zwischen Demonstranten und Soldaten, die zum Zeichen der friedlichen Gesinnung mit Blumen beschenkt oder mit Blüten beworfen wurden.

Auf großen Bildschirmen verfolgten die Demonstranten das Geschehen im libanesischen Parlament. Sie applaudierten den Oppositionskandidaten, die eine vollständige Aufklärung des Mordes an Hariri forderten. „Wir alle zusammen wollen einen souveränen und unabhängigen Libanon“, rief Oppositionspolitiker und Drusenchef Walid Jumblatt den Demonstranten zu Beginn der Parlamentsdebatte zu. Die Rede von Regierungschef Omar Karami ging in einem Pfeifkonzert unter.

Viele Demonstranten trugen rot-weiße Schals, blaue Schleifen, Buttons mit Hariris Konterfei und Aufkleber mit der Aufforderung „Wir wollen die Wahrheit“. Immer wieder stimmten sie antisyrische Slogans an. Nach wie vor gehen sie davon aus, dass Syrien hinter dem Attentat steht. Und natürlich fordern sie weiter den Abzug der syrischen Armee sowie die Schließung der Geheimdienstbüros.

Für die Libanesen ist die Erfahrung der Einheit wichtig. „Wir haben viele Freundschaften geschlossen“, meinte eine junge Schiitin. „Es wird nie wieder einen Bürgerkrieg in Libanon geben.“ Forderungen zu stellen ist ebenfalls eine wichtige, neue Erfahrung für die Jugendlichen. Nadim Gemayel, der Sohn des ermordeten Führers der christlichen Forces Libanaises, sagte: „Wir haben nun wirklich die Hoffnung, dass wir einen geeinten, demokratischen Libanon schaffen können.“ Die Schiitin stimmt dem Christen zu: „Wir glauben, dass wir noch vor den Wahlen (im Mai) ein freies Land sein werden.“ Das hofft auch der Intellektuelle Akl Awit. „Wir werden den ersten friedlichen Sturz einer Regierung bewirken – einmalig in der arabischen Welt.“

Als die Regierung dann am Abend zurücktrat, brandete überall Beifall auf. Der Druck der Straße brachte einen kaum für möglich gehaltenen Sieg. Wenn jetzt die internationale Gemeinschaft weiter für einen Abzug der Syrer aus Libanon eintritt, können die Jugendlichen am Märtyrerplatz vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft noch einen weiteren Sieg an ihre Fahne heften.