Wie groß soll der Biomarkt werden?

Branche für Ökonahrungsmittel uneins über den Effekt des Erfolgs und den Einstieg des Rewe-Konzerns. In Österreich und der Schweiz brachten die Supermarktketten den Massenmarkt. Erzeuger fürchten Preisdruck und setzen auf Gourmetsorten

AUS NÜRNBERG HANNA GERSMANN

Am Anfang mischten sie das Müsli in der Badewanne. 30 Jahre später machen Wilhelm und Jennifer Vermeulen 70 Millionen Euro Umsatz im Jahr und beschäftigen 250 Mitarbeiter: Die Rapunzel Naturkost AG, 1975 ein Augsburger Ökoladen mit gerade mal 35 Quadratmetern, ist groß geworden. Das hat sie bis gestern auf der BioFach in Nürnberg, der weltgrößten Messe der Branche, gefeiert. Fast wäre es nicht so weit gekommen.

Denn als bei Rapunzel gerade mal acht Leute arbeiteten, fanden das „einige aus der kleinen Arbeitsgemeinschaft schon zu viel“, erklären die Vermeulens. So hätten sie alle überlegt, das Wachstum zu stoppen oder auszusteigen und nach Italien zu gehen. Wie groß darf der Markt für Ökowaren werden? Diese Frage beschäftigt die gesamte Branche – zumal nun der milliardenschwere Handelskonzern Rewe Biosupermärkte aufmachen will.

Mit Bio lässt sich derzeit ziemlich gut verdienen. Rapunzel verkauft sein Müsli mittlerweile tonnenweise. Die Umsätze etwa des Konkurrenten Alnatura stiegen im letzten Jahr um 25, die der gesamten Branche um 10 Prozent. Paul Werner Hildebrand, Chef der Frankfurter organic Marken-Kommunikation, hält das für ausbaufähig, „wenn sich die Bios nur trauen“. Denn 60 Prozent der Deutschen griffen bisher immerhin schon hin und wieder zur Ökoware. Die Werber setzen vor allem auf die „Lohas“, die Kurzform für „Lifestyle of Health and Sustainability“, was so viel heißen soll wie gesund und umweltbewusst zu leben.

Auch die grüne Agrarministerin Renate Künast sähe Biokost am liebsten in jedem Supermarkt. Tatsächlich verschleiert der Trubel an den Nürnberger Messeständen die Realität: Gerade mal vier Prozent der Äcker in Deutschland werden ökologisch bewirtschaftet.

Andere EU-Staaten sind da weiter. Besonders gut sieht es in der Schweiz und in Österreich aus, die Ökofelder und -weiden machen dort zehn Prozent aus. Jedoch beobachtet das so mancher deutscher Biohändler eher argwöhnisch. Die Handelskonzerne seien früh auf die Bioschiene aufgesprungen, erzählt nämlich Cordelia Galli von Bio Suisse, dem größten Schweizer Bioverband. Coop und Migros, die gut 75 Prozent des Schweizer Einzelhandels abdecken, stellen seit mehr als zehn Jahren Biomilch oder -gemüse mit ins Regal. „Qualität darf bei uns etwas kosten“, sagt Galli. Wie viel mehr für Bio gezahlt werden muss? „Bei Milch 15 Prozent, bei Fleisch 30.“ In Österreich gibt es die Ökoprodukte im herkömmlichen Spar oder Rewe. Peter Gnant vom Verband Bio Austria begründet den Erfolg so: „Der österreichische Rewe-Chef Veit Schalle ist einfach biobegeistert.“

Ob Rewe nun auch für einen Sprung auf dem deutschen Biomarkt sorgen wird? Richard Specht von der süddeutschen Demeter-Gärtnerei Piluweri will davon nichts wissen. Erst vor kurzem erhielt er den Förderpreis ökologischer Landbau. Ihn ärgert nun, dass der Konzern wirbt, Bio für alle bezahlbar machen zu wollen. Specht: „Für uns Erzeuger geht es nicht billiger.“ Oder er könne nicht mehr wie bisher jedes Jahr drei Lehrlinge ausbilden. Von der Qualität des Gemüses ganz zu schweigen.

Demnach müssten die Ökokunden künftig womöglich verzichten – etwa auf Rodelika, die kräftig-aromatische, auf Robila, die nussig-milde, oder auf Milan, die saftig-frische. Alle drei sind aufwändig gezüchtete Möhrensorten. Dahinter steckt eine Idee von Piluweri und anderen Gärtnereien (www.kultursaat.org): Der Kunde kauft beim Gemüse wie beim Wein bestimmte Gourmetsorten. Auf der BioFach erhielten die „Möhren mit Charakter“ die Auszeichnung „Empfehlung Naturkost“. So gekürt dürfte der Weg in den Biomarkt leichter werden.