Europa muss dem Balkan helfen

Die Europäische Union muss die Staaten des westlichen Balkans integrieren. Nur die Perspektive einer Mitgliedschaft schafft Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung

Die Hilfsgelder müssen umgeschichtet werden, weg von der aufwändigen Nachkriegsverwaltung

Die Übernahme der internationalen militärischen Operationen in Bosnien und Herzegowina durch die Europäische Union ist ein erster Schritt, mit dem der Balkan dort angesiedelt wird, wo er hingehört: nämlich fest unter die Fittiche der EU. Doch die Union muss weitere Verpflichtungen übernehmen und ein qualitativ ganz anders geartetes Engagement in den problematischsten Ländern der Region entwickeln: in Bosnien, Albanien, Serbien und Montenegro, in Mazedonien und Kosovo. Die Friedenssicherung nach dem Krieg muss zum Abschluss gebracht und ein neues europäisches Kapitel für den westlichen Balkan eingeleitet werden, an dessen Ende die EU-Mitgliedschaft steht. In Bosnien bedeutet dies die Aufhebung des internationalen Protektorats im Herbst 2005, wenn die Amtszeit des derzeitigen Hohen Repräsentanten ausläuft.

Zurzeit scheint die Aussicht der westlichen Balkanländer, EU-Kandidaten zu werden, in weiter Ferne. Die EU muss diesen Staaten zeigen, dass sie bereit ist, alles im Bereich des ihr Möglichen zu tun, das eigentliche Ziel einer EU-Mitgliedschaft zu verwirklichen. Dazu gehört auch die Zusage, das Erreichen des Kandidatenstatus zu beschleunigen, indem diesen Ländern unmittelbarer Zugang zu den Entwicklungsgeldern für Beitrittskandidaten gewährt wird. Eine solche Zusage wäre keine wohlwollende humanitäre Geste, sondern Teil des Rezepts für langfristige Stabilität auf dem Balkan.

Als vor dreizehn Jahren die ethnische Gewalt in Kroatien und Bosnien ausbrach, gelang es der damaligen Europäischen Gemeinschaft nicht, die Kampfhandlungen zu beenden und einen Frieden auszuhandeln. Das Ergebnis war der erste Völkermord in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Beteiligung der USA und die transatlantische Zusammenarbeit auf dem Balkan seit Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton im Jahre 1995 haben der Region viel gebracht, sie geben ein positives Beispiel dafür, was die USA und Europa erreichen können, wenn sie zusammenarbeiten. Doch mittlerweile hat das Interesse der USA am Balkan nachgelassen. Für die Regierung Bush ist der Balkan nur noch „Clintons Ding“, also eher lästig als besonders wichtig.

Jetzt ist Europa am Zug, und zwar allein. Die Fähigkeit der EU zum Umgang mit Nachkonflikt-Regionen wie dem Balkan hat sich seit den frühen 90er-Jahren enorm verbessert. Was jedoch für den Balkan noch wichtiger ist: Die Europäische Union verfügt über einzigartige Erfahrungen mit der Integration unterentwickelter und reformbedürftiger europäischer Länder in ihre Strukturen. Und zurzeit sammelt sie sogar noch mehr einschlägige Erfahrungen, da sie Kroatien, Bulgarien und Rumänien zur Aufnahme in ihre Reihen vorbereitet. Die EU-Standards sollten für die Länder des westlichen Balkans nicht um einen einzigen Zentimeter gesenkt werden, doch sollte die Richtung in die EU frühzeitig eingeschlagen werden. Denn damit werden die westlichen Balkanländer in die Lage versetzt werden, an einem Prozess beteiligt zu werden, der bereits für sich genommen zu einer Umwandlung führt.

Die Aufgabe der Stabilisierung der Region ist bei weitem noch nicht beendet. Insbesondere Serbien mit seine vielen offenen Fragen – von der Kooperation mit dem Haager Gerichtshof bis hin zum Status des Kosovo – bleibt eine gefährliche Quelle der Instabilität in der Region. Anders als in Kroatien wird die politische Szene weiter von Ultranationalisten dominiert. Auch überlagern die leicht ermutigenden Wirtschaftswachstumsraten in den Ländern Südosteuropas häufig die Faktoren wie hohe Arbeitslosigkeit, eine schwache Privatwirtschaft und lähmende Handelsdefizite.

Die EU muss auf dem westlichen Balkan eine Schwerpunktverlagerung vornehmen: weg von der Nachkriegs-Friedenssicherung und inhaltsleeren Demokratieprojekten und hin zur Europäisierung. Eine der vielen Lektionen aus zehn Jahren internationaler Verwaltung ist, dass eine international gesponserte „Demokratisierung“ (von Wahlen bis hin zu Initiativen zum Aufbau einer Zivilgesellschaft) stets bedeutend weniger gebracht hat als erwartet, und dies trotz Investitionen von hunderten Millionen Euro. Das Verhältnis zwischen Hilfsleistungen für derlei Maßnahmen und Ausgaben für die praktischen Grundlagen einer wirtschaftlichen Entwicklung weist eine traurige Schieflage auf. Die internationale Gemeinde ging fälschlicherweise davon aus, eine international finanzierte demokratische Kultur würde automatisch zu einer blühenden Privatwirtschaft führen. Doch dem war nicht so.

Ebenso müssen auch die Tage des Nachkriegsprotektorats über Bosnien, unter Führung von Organisationen wie dem Hohen Repräsentanten und der OSZE, allmählich zu Ende gehen. An ihrer Stelle sollte die EU einspringen und die Mechanismen und Strategien einsetzen, die sie mit großem Erfolg an anderen Orten in Süd- und Mitteleuropa angewandt hat. Diese Art von Druck und an Bedingungen geknüpfte Hilfe erzeugt politische und wirtschaftliche Erfolge, die durch eine autoritäre Verwaltung nach Protektoratsmanier nicht bewirkt werden können. Der Thinktank „Europäische Stabilitätsinitiative“ (ESI) schlägt vor, dass die Europäische Union Bosnien und den anderen Staaten des westlichen Balkans sofort dieselbe Art von Finanzhilfe gewährt, wie sie die Beitrittskandidaten Türkei und Bulgarien erhalten. Davon betroffen wären landwirtschaftliche Ausrichtungs- und Garantiefonds, der regionalen Entwicklungsfonds und der Sozialfonds. Diese Hilfen wären für die betreffenden Länder ein starker Anreiz zur Umsetzung konstruktiver politischen Strategien, sie würden der EU einen wesentlich Einfluss hinsichtlich der Unterstützung von administrativen und wirtschaftlichen Reformen einräumen, so wie es jetzt in Bulgarien und der Türkei geschieht.

Entgegen allen Behauptungen kostet dieser Kurs auch nicht mehr als der gegenwärtige. Es würden lediglich Finanzmittel umgeschichtet: weg von der kostenaufwändigen Nachkriegsverwaltung mit ihren überbezahlten internationalen Mitarbeitern und hin zur Übergabe der Verantwortung für Reformen in die Hände von Politikern vor Ort. Die ESI argumentiert, dass diese Gelder eine weitaus effizientere EU-Investition wären, weil mit ihnen die Vorbereitung zur Mitgliedschaft mitfinanziert würde.

Europas Fähigkeit im Umgang mit den Konflikten nach dem Krieg hat sich enorm gebessert

Die Krönung der europäischen Sicherheitspolitik ist die sanfte Macht der EU, durch ihre Integrationsprozesse weit reichende Reformen fördern zu können. Die ethnischen Unruhen im März vergangenen Jahres im Kosovo zeigen, dass die konkrete Gefahr besteht, dass die Region einen Rückfall erleiden und zu einem europäischen schwarzen Loch der Instabilität und Armut werden könnte.

Wenn die Eurpäische Union nicht in der Lage ist, die Probleme des Balkans mit ihrer sanften Macht in den Griff zu bekommen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr dies in der Türkei gelingt, sicherlich auch nicht allzu groß. PAUL HOCKENOS

aus dem Englischen von Beate Staib