Unzufrieden, überfordert, unmotiviert

OECD-Experten haben untersucht, wie es um Gegenwart und Zukunft des Lehrerberufs in Deutschland bestellt ist. Das Ergebnis: zurzeit nicht gut. Nun soll das Ausbildungsdurcheinander generalüberholt werden für den „Bologna-Prozess“, den anvisierten einheitlichen europäischen Hochschulraum

VON JEANNETTE GODDAR

Die Reisenden hatten einen klaren Auftrag unter einem unmissverständlichen Motto: „Teachers Matter!“ – Auf die Lehrer kommt es an. Mehrere Wochen lang untersuchten fünf Experten der OECD, wie es um Gegenwart und Zukunft des Lehrerberufs in der Bundesrepublik bestellt ist. Nach dem Pisa-Fiasko der deutschen Schüler ginge es nun mit den Lehrern in die nächste Runde. Am Ende kamen sie im internationalen Vergleich zu einem vernichtenden Ergebnis: Zu viele Lehrer sind unzufrieden, überfordert und unmotiviert. Es hapert an vielem, aber nicht zuletzt an ihrer Bildung: Ein deutscher Lehrer lernt länger als fast alle anderen; aber nur am Anfang. Später muss er sehen, wie er zurechtkommt. „Warum“, fragt Paulo Santiago, „investieren Sie alles, bevor ein Lehrer in die Schule kommt – und nichts mehr, wenn er drin ist?“

In 16 Bundesländern 40 Wege zum Lehramt

Santiago, der kürzlich zwecks Vorstellung der OECD-Studie (siehe Kasten) zu einer Konferenz nach Bielefeld reiste, fragte aber noch etwas: „Wie viele Wege ins Lehramt gibt es bei Ihnen?“ Eine rhetorische Frage – die OECD-Forscher selbst haben Bundesland für Bundesland durchgezählt und sind auf eine Zahl von 40 gekommen. Gemeinsam ist den Lehramtsstudien, dass sie mit Lehren wenig zu tun haben. Fast überall studieren Pädagogen gemeinsam mit Kommilitonen, die völlig andere Ziele haben. Künftige Physiklehrer erhalten das gleiche Fachwissen wie Atomphysiker; nebenher besuchen sie Veranstaltungen in Pädagogik und Psychologie. Nach fünf oder sechs, sieben oder acht Jahren schließt sich das Referendariat an – das unter denen, die es absolvieren, längst mit „Praxisschock“ synonymisiert wird. Nun soll bis zum Jahre 2010 ein einheitlicher europäischer Hochschulraum vom Atlantik bis an den Ural entstehen. „Der Bologna-Prozess“, sprach auch Santiago den Deutschen auf einer Konferenz in Bielefeld vor einigen Wochen Mut zu, „bietet eine hervorragende Gelegenheit, das Lehrerstudium zu verbessern.“

Tatsächlich tut sich an einigen Universitäten und in einigen Bundesländern etwas: In Bielefeld, Erfurt, Jena und anderswo sind mit viel Engagement Bologna-kompatible Abschlüsse für Lehrer entwickelt werden. In Erfurt saß die Unileitung neulich sogar mit Kollegen aus Flensburg und Vechta zusammen und diskutierte, inwieweit die Lehrerbildung gemeinsam reformiert werden könnte. Und was die Bundesländer angeht, haben einige wie Rheinland-Pfalz und Hamburg Leitbilder für den Lehrerberuf entwickelt, die mehr Praxis und Bachelor samt Master zulassen.

Von einer bundesweiten Einigung, wer künftig zu welchen Konditionen Lehrer werden darf, könnte man allerdings kaum weiter entfernt sein. Die SPD-regierten Länder wollen – allerdings unterschiedlich schnell – eine Bologna-kompatible Lehrerausbildung. Die CDU-Länder – mit Ausnahme von Niedersachsen – wollen am Staatsexamen festhalten. Leider, erklärte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Johanna Wanka (CDU) bei ihrem Amtsantritt, sei man sich nicht nur über die Abschlüsse uneins, sondern auch über die Frage, welchen Stellenwert ein Bachelor im Schulbetrieb haben soll. Die – vielerorts längst existierenden – Studiengänge für Lehrer in spe unterscheiden grob zwischen zwei Modellen: Die einen verschieben die Entscheidung für den Lehrberuf – und damit auch die pädagogische Spezialisierung – auf die Master-Phase und wenden sich mit einem so genannten polyvalenten Abschluss davon ab, dass sich die Absolventen frühzeitig auf einen einzigen Beruf festzulegen. Die anderen verkuppeln vom ersten Semester Bildungs- und Fachwissenschaft, räumen also Didaktik und Pädagogik einen höheren Stellenwert ein. Insbesondere Letztere stehen vor einem ungelösten Problem: Was soll machen, wer nach dem BA nicht weiterstudieren will oder darf? Schließlich sollen zwei Drittel der Studierenden künftig mit einem Bachelor abschließen. Dass sie Lehrer werden könnten, wollen weder die KMK noch die Lehrergewerkschaften. Aber was dann? In Berlin hat man sich fürs Erste das Berufsbild „HortnerInnen“ ausgedacht; in NRW ist das Berufsbild „Assistant Teacher“ im Gespräch.

Ab 2007 soll es kein Lehramt mehr geben

Fest steht: Bachelor und Master werden kommen. Nordrhein-Westfalen hat im Dezember 2004 als erstes Land den Universitäten ein Ultimatum gestellt: Ab 2007 soll es für Studienanfänger kein Lehramt mehr geben. Fest steht aber bis auf Weiteres auch: Der Umzug vom Atlantik an den Ural könnte sich künftig für Lehrer wie Studierende einfacher gestalten als der von einem Bundesland ins andere.