Der Reiz des Kargen

Auf einer Wüstentour durch den Sinai: Schon nach wenigen Metern ist man orientierungslos, und auf einem Kamel zu sitzen ist anstrengender als erwartet – bis man die eigentümliche Atmosphäre der sandigen Umgebung wahrzunehmen beginnt

VON MARKUS ENGELS

Der Höhepunkt ist eindeutig die Nacht: über uns ein glasklarer Himmel, in dem unzählige Sterne funkeln, um uns herum eine Stille, in der man nur den eigenen Atem hört.

Wir sind schon ein paar Tage auf dem Sinai in Ägypten und haben uns am Strand liegend von der bergigen Wüstenlandschaft überwältigen lassen, bevor wir zu einem Wüstentrip aufbrechen. Schon die Vorbereitungen werfen neue Fragen auf: Was braucht man, um drei Tage in der Wüste überleben zu können? Die Antwort: ein Paket Tee, viel Zucker, etwas Mehl, Salz, Reis, drei Dosen Thunfisch, sechs Tomaten, zwei Zwiebeln, Ziegenkäse, Marmelade und viel Wasser. Hilfreich, um nicht nur in rauen Kameldecken schlafen zu müssen, ist ein Schlafsack. Darüber hinaus Kleidung, die den ganzen Körper vor der Sonne schützt, ein Tuch oder eine Mütze für den Kopf und warme Sachen für die kalten Wüstennächte.

Am frühen Morgen brechen wir von unserem Strandcamp auf. Wir lassen uns mit einem Taxi zu einem winzigen Beduinenlager bringen. Jeder bekommt ein Kamel, wir satteln auf, und unser ägyptischer Taxifahrer erklärt zum letzten Mal die Route. Dann reiten wir los, meine Freundin, ein junger beduinischer Führer und ich.

Schon nach wenigen Metern in der Wüste ist man orientierungslos. Die Hitze und der Kampf mit dem Kamel, wer die Richtung bestimmt, fesseln zunächst die ganze Aufmerksamkeit. Auf einem Kamel sitzt man überraschend hoch, die Sättel sind aus hartem Holz, was vor allem Männer zu Beginn etwas Mühe beim Reiten bereitet. Nach einer halben Stunde funktioniert die Partnerschaft zwischen Mensch und Tier schon etwas besser. Stoisch und monoton trabt das Kamel durch den Sand. Und endlich kann man die faszinierende Landschaft des Sinais genießen. Wüste mit den unterschiedlichsten Farbschattierungen, vertrocknete Büsche, kleine Oasen und vor allem Sand, soweit das Auge reicht.

In den Pausen das immer gleiche Ritual: Wir sind geschafft und durstig. Im Schatten liegend beobachten wir wortlos die Kamele, die an den Füßen zusammengebunden sind und trotzdem versuchen, sich mit witzig aussehenden Trippelschritten davonzumachen. Weil unser beduinischer Führer kein Englisch kann, beschränkt sich die Kommunikation auf das, was man zeigen oder in den Sand malen kann. Geritten wird morgens vier Stunden lang. Nach einer ausgiebigen Mittagspause geht’s dann nochmals vier Stunden weiter, bis das jeweilige Nachtlager erreicht ist.

Am ersten Abend ist ein Beduinencamp unser Ziel: eine Großfamilie, vier Zelte, zwei Jeeps und einige Kamele. Einrichten sollen wir uns irgendwo, wo es uns gefällt. Dies ist allerdings nicht so leicht, denn überall liegt Müll herum, kaputte Batterien und leere Feuerzeuge. Nachdem die Kameldecken ausgebreitet und die Schlafsäcke darüber gelegt sind, werden wir zum Abendessen abgeholt. Etwas abseits, am Lagerfeuer, sitzen die Männer. Zunächst beten die Älteren, danach wird gegessen, es wird viel geraucht und gelacht. Die Frauen essen im Zelt. Auch dort herrscht gute Stimmung, Babys werden herumgezeigt und bewundert. Dann geht es früh ins Lager, die erste Nacht unter dem magischen Wüstenhimmel.

Um sechs Uhr morgens Frühstück: selbst gebackenes Brot, bestehend aus Mehl, Wasser und Salz. Der Teig wird ins Feuer gelegt und schon nach wenigen Minuten wird ein schwarzes Etwas auf einen Stein geworfen, mit einem Messer bearbeitet und es pellt sich langsam ein frisches und wohl schmeckendes Fladenbrot heraus. Dazu gibt es Marmelade und Ziegenkäse. Das Mittag- und Abendessen besteht jeweils aus Tomatensalat mit Reis und Thunfisch. Nach dem Essen vertilgen die Kamele das, was wir übrig lassen – aus dem einzigen Topf, den wir dabei haben.

Der zweite Tag bringt neue Eindrücke. Am Abend türmt sich eine riesige Düne vor uns auf. Wir schlafen auf ihrem Kamm, trotz der leichten Brise, die am Nachmittag noch angenehm ist, am Abend aber bitterkalt wird. Doch die Sicht von der Düne ins Tal überwältigt selbst unseren Führer.

Am dritten Tag, mittlerweile sicher auf dem Kamel sitzend, galoppieren wir auf weiter Ebene. Am späten Nachmittag erscheint urplötzlich eine Landstraße vor uns, das Ende der Tour ist erreicht. Wir sind ob des jähen Endes regelrecht erschrocken und rauchen gemeinsam mit unserem Tourguide eine letzte Zigarette. Dann erscheint aus dem Nichts ein Taxi, das uns zurück zu einer warmen Dusche und einem kühlen Bier bringt.