Nur nie wieder nach Kiruna

Mando Diao revisited: Vor einem Jahr musste die schwedische Rockhoffnung noch in einem Hamburger Kellerklub auf den Matratzen schlafen. Da war beim neuerlichen Besuch am Mittwoch in der Stadt das Nachtlager schon um einiges luxuriöser. Aber Erfolg hat man eben, weil man ihn wirklich will

Wir sind glücklich mit unserer Situation, aber noch lange nicht zufrieden

Aus Hamburg Markus Flohr

Andreas glaubt, dass Mando Diao „noch richtig steil gehen“ und die Alternative-Sparte bald verlassen. In Richtung Mainstream. Kennen gelernt hat der Hamburger die Band über einen schwedischen Fußballfanclub, die „Verstehe nicht Crew – St. Pauli Supporters Sverige“.

Das war vor einem Jahr: Überall in St. Pauli hing dieses Plakat. Fünf junge Männer waren darauf abgebildet, die guckten cool. Und wollten irgendwo rein. Eine Hand drückte sie zurück; „bring em in“, forderte der Schriftzug. Das Foto war ein Hingucker. Darunter standen ein paar Tourdaten: 11.03: Hamburg-Molotow. 12.03: Köln-Underground. 15.03: Frankfurt-Cooky’s. 16.03: Berlin-Magnet. Einschlägige Adressen für Bands, die man noch nicht von MTV kennt. Bis zum März im vergangenen Jahr hatte die schwedische Rockband Mando Diao, deren Tour hier mit wild geklebten Plakaten beworben wurde, noch nie in Deutschland gespielt. Wer die Typen auf dem Poster eigentlich seien, fragte sich deshalb das allabendlich an den Bildern vorbei schwappende Hamburger Szenevölkchen.

An der Elbe, speziell in St. Pauli, ist Rockmusik aus dem Norden schon lange eine feste Größe. Das erklärt sich zum einen geographisch: Will es eine Band aus Dänemark, Norwegen, Schweden oder Finnland irgendwie nach Europa schaffen, führt der Weg logischerweise nach Süden. Da das Baltikum und Russland noch Entwicklungsmärkte sind, geht es auf der Überholspur erstmal nach Deutschland. Genauer: nach Hamburg. Rock-City. Home of Slime, Die Goldenen Zitronen, Die Sterne, Tocotronic. Überhaupt die Geburtsstadt des Beatles-Mythos. Und so.

Zum anderen war die Gitarrenmusik der 90er-Jahre eine sehr britpoppige Angelegenheit, während aus den skandinavischen Ländern eher die härteren Töne kamen. Und dieser Rock aus dem Norden fand in Hamburg stets ein großes und dankbares Publikum. Bands wie die norwegischen Show-Punker Turbonegro, die schwedischen Spaßpunks Millencolin oder die Rockabilly-Adepten The Hives, gleichfalls Schweden, haben diesen Weg bereits beschritten.

Die Taktik mit dem Plakat ging auf. Im Molotow standen sich am 11. März des vergangenen Jahres die Leute auf den Füßen, und vor der Tür zu dem Kellerklub an der Reeperbahn reihte sich noch eine lange Schlange.

Die Zeit des wochenlangen Fragens hatte ein Ende: Mando Diao waren „in“, also „drin“. Zumindest schon mal im Molotow.

Die Show der Jungs aus dem mittelschwedischen Industrieörtchen Borlänge war beeindruckend. Vollgas bis zur Bühnenkante. Die beiden Frontmänner teilten sich den Gesang. Björn Dixgård mit der weicheren Stimme. Er sang die kunstfertigeren Lieder, während Gustaf Norén die schreiende, spuckende Frontsau gab. Sie sprangen herum und sparten nicht an Rocker-Posen. Sie verausgabten sich. Sie begeisterten.

Mando Diao traten so auf, weil das ihrem Arbeitsethos auf der Bühne entspricht. Aber auch, um beim nächsten Mal nicht mehr auf so einer kleinen Bühne wie im Molotow spielen zu müssen.

Im Laufe des Frühlings besprach sie jede namhafte Musikzeitschrift in Deutschland. Positiv bis jubelnd. Mittlerweile war ihr Debütalbum auch hier erschienen. Titel: “Bring em in“. Coverfoto: Wie gehabt – fünf junge Männer stehen herum und wollen rein.

In Interviews gaben sie sich sehr erfolgshungrig, sehr selbstbewusst und sehr selbstsicher. Ihr Debüt hielten sie für „besser als alles von The Who und den Kinks“ und für „eine rundere Sache als vieles von den Beatles oder Stones“, pressemitteilte die EMI dazu.

Sie gäben alles für die Band, behaupten Gustaf, Björn und die anderen gerne, auf der Bühne seien sie deshalb unschlagbar, weil sich niemand so gehen lasse wie sie. Orgelspieler Daniel Haglund ist diesem Berufsethos bereits zum Opfer gefallen. Noch vor Veröffentlichung des zweiten Albums vergangenen Herbst flog er raus. Weil er sich nicht an die Regeln der Gruppe gehalten habe, gaben seine Kollegen in der Tageszeitung Dagens Nyheter zu Protokoll.

Die Lage jetzt: „Wir sind glücklich mit unserer Situation“, gab Carl-Johan Fogelklou, wieder in Hamburg, am Mittwoch dieser Woche im Foyer der Markthalle, zu. Und dann schob der Bassist gleich nach: „aber noch lange nicht zufrieden. Wir wollen den Erfolg.“ Er und Sänger Björn Dixgård haben gerade den Soundcheck für den Auftritt am Abend hingelegt und plaudern übers Tourleben.

„Es fühlt sich gut an, wieder unterwegs zu sein. Wir haben es wirklich satt, in Schweden zu spielen.“ Carl-Johan blickt wach und schlau in die Welt, Björn gähnt zwischen seinen Sätzen weit und lässt die Augenlider aufeinander plumpsen. In siebzig Städten der Heimat hätten sie bereits gespielt. Vor allem nach Kiruna, einer Stadt nördlich des Polarzirkels, will er nie wieder: „Zu kalt, die Leute dachten wegen meines Haarschnitts, ich sei schwul. Und sie haben die höchste Selbstmordrate des Landes.“

Auf der Straße vor der Halle direkt am Hamburger Hauptbahnhof steht ein luxuriöser Tour-Nightliner, der Gig von Mando Diao in der Markthalle ist ausverkauft. Vor einem Jahr haben sie im Büro des Molotows noch auf ein paar Matratzen genächtigt. „Das nächste mal müssen wir vielleicht die Color-Line-Arena buchen“ scherzt der Tour-Manager.

Im Saal bringen Mando Diao dann alles auf die Bühne, was sie können. Ihre feurige Beat-Punk-Soul-Mischung ist dazu da, live gespielt zu werden. Die Körpersprache von Gustaf, Björn und Carl-Johan ist noch gekonnter als vor einem Jahr im Molotow. Das gleiche gilt für ihre neuen Songs, für das gesamte neue Album „Hurricane Bar“, das sich in Deutschland doppelt so gut verkauft wie in Schweden. Mehrere Zugaben, am Bühnenrand verteilt ein Roadie Handtücher.

Gegen Mitternacht ist die Musik vorbei, und die aus der Halle strömenden Zuschauer umlagern den Merchandise-Stand. Auf einem Shirt ist nur das Cover des neuen Albums gedruckt. Es zeigt die zum Quartett geschrumpfte Band. Dieses Mal stehen sie nicht herum, sie lümmeln sich gekonnt hinter dem Tresen der „Hurricane Bar“. Mando Diao wollen 2005 nicht mehr nur, sie sind nun wirklich – drin.