Die stille Revolution

Weine aus ökologischem Anbau legen zu. Dabei geht es nicht allein um Schadstoffe. Die Philosophie einer neuen Winzergeneration lautet: Es muss mit der Natur gearbeitet werden, nicht gegen sie

Du engagierst dich subtil. Ohne etwas zu sagen, veränderst du die Welt

VON TILL EHRLICH

Caterpillar bedeutet Tausendfüßler. Caterpillar ist aber auch ein bekannter Markenname für Maschinen: tonnenschweres Gerät mit Raupen und riesigen Schaufeln. Damit kann man Berge versetzen. Hubert Laferrère kennt sich damit aus. Er hat die Maschinen früher verkauft – Monster, mit denen der Mensch ganze Landschaften neu erschaffen will. Irgendwann habe er den Job nicht mehr ausgehalten, erzählt Laferrère. Und er hat einen kleinen Weinberg gepachtet.

Der liegt in einem vergessenen Ort namens Lugny in Südburgund. Die Gegend hat nie durch Qualität von sich reden gemacht, eher durch Unmengen von durchschnittlichem Wein. Laferrère begann als Autodidakt in seiner Freizeit die Reben zu pflegen. In Knochenarbeit, also ziemlich archaisch, mit so wenig Technik wie möglich. Am Anfang haben die Winzer von Lugny, die ausnahmslos Massenware für die örtliche Genossenschaft produzieren, über Laferrère gelacht. Heute lachen sie nicht mehr. Denn Hubert Laferrère kann Weißweine vorweisen, die Weinliebhaber in Verzückung versetzen: individuelle Chardonnays mit Charakter. Sorgen um den Absatz muss sich Laferrère nicht mehr machen, seit 1993 kann er von den Weinen leben. Er wird die vier Hektar Rebland aber nicht vergrößern, weil er weiterhin alles selbst machen will.

Die Tuchfühlung mit seinem Produkt ist ihm wichtig. Laferrère arbeitet mit Leidenschaft im Weinberg, der ist für ihn Teil der Natur. Biologisch zu arbeiten ist für ihn Sinn stiftend. Seine Erfahrungen mit technischen Monstern haben ihn dazu geführt, dass er als Winzer ganz darauf verzichtet. Der Boden wird durch die Traktoren verdichtet und unfruchtbar. Die Folgen: Ausgleich durch chemische Dünger und Pflanzenschutzmittel. Weil das natürliche Gleichgewicht gestört ist, sind die Reben extrem anfällig gegen Krankheiten. Dies führt dazu, dass noch mehr Chemie eingesetzt wird. Die Pflanzen sind letztlich so geschwächt, dass sie am Tropf der Chemo-Cocktails hängen, mit denen der Winzer sie besprüht.

Die industriellen Hersteller von chemischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln sind die einzigen Gewinner bei diesem Gewaltakt. Ein Milliardengeschäft. Auf Kosten der Natur und der Gesundheit der Winzer und Weintrinker. „Aber es muss mit der Natur gearbeitet werden, nicht gegen sie“, sagt Laferrère.

Die Zahl der Biowinzer nimmt langsam, aber stetig zu. In Deutschland gibt es inzwischen 380 Weingüter, die nach ökologischen Richtlinien arbeiten. Sie bewirtschaften zwei Prozent der gesamten Rebfläche. Was wenig zu sein scheint, ist dennoch eine ernst zu nehmende Bewegung im Qualitätsweinbau geworden. Immer mehr Bioweine werden von Weinliebhabern zu den besten der Branche gezählt. Hinzu kommt, dass immer mehr Spitzenwinzer auf Öko umstellen, und zwar häufig dann, wenn es in den Betrieben einen Generationswechsel gibt. Bioweinbau erweist sich für immer mehr Winzer als Königsweg, um Wein zu erschaffen, der anders schmeckt als der Mainstream.

Geschmack ist Identität. Er verrät der geschulten Zunge viel. Ist der Boden überdüngt und durch Pestizide, Fungizide und Insektizide steril geworden? Wurden die Rebstöcke überstrapaziert, weil der Winzer gierig war und ihnen zu hohe Erträge abverlangte? Wurde der Wein im Keller mit Enzymen oder genmanipulierten Hefen traktiert? Wein kann nicht schreien. Aber er ist nachtragend. Er registriert jeden Eingriff in sein inneres Gefüge. Und teilt durch seinen Geschmack mit, was ihm angetan wurde. Was zunächst esoterisch klingt, ist eine Tatsache: Je schonender der Wein im Keller behandelt wird, je gesünder die Rebstöcke und je niedriger die Erträge sind, je einfühlsamer der Winzer die Weinwerdung begleitet, desto besser schmeckt der Wein. Das unterscheidet ihn von Industrieprodukten. Will ein Winzer also gute Weine erzeugen, muss er seinen Weingarten wieder ins natürliche Gleichgewicht bringen. Ökologischer Weinbau ist daher für immer mehr Winzer ein bewährter Weg zum guten Wein.

„Bio ist eine stille Revolution“, sagt Philippe Carnoy. Er ist als Weinhändler ein Pionier, er war vor 15 Jahren einer der ersten, die biodynamische Weine von Frankreich nach Deutschland brachten. „Bioweine sind in den letzten Jahren immer besser geworden, weil einerseits Biowinzer immer besser ihr Metier beherrschen, andererseits mehr Spitzenwinzer ökologisch arbeiten.“ Das Image habe sich grundlegend zum Positiven gewandelt. Aber auch die Weinkäufer hätten sich entwickelt. Es gehe bei der Kaufentscheidung für Biowein nicht mehr nur um ein ideologisches Statement. Oder um den puren „Egoismus“, schadstoffarmen Wein zu trinken. „Bio ist ein stilles Engagement geworden, das immer mehr an Stärke gewinnt“, sagt Carnoy. „Du engagierst dich subtil. Ohne etwas zu sagen, veränderst du die Welt. In der Ruhe liegt die Kraft.“ Und nach einer Pause fügt er hinzu: „Biowein ist nicht die Zukunft, er ist schon Gegenwart.“

Die positive Tendenz in der Akzeptanz von Bioweinen bestätigt Elisabeth Dierlinger, die seit 1985 in Berlin-Kreuzberg den „Rebgarten“ betreibt, ein profiliertes Weinfachgeschäft, das Weine aus ökologischem Anbau führt. „Unsere Kundschaft ist immer jünger geworden“, sagt sie. „Auch Leute, die sehr wenig Geld haben, kaufen Ökoweine.“

Aber der Markt der Bioweine ist in sich gespalten. Einerseits gibt es strikt handwerklich arbeitende Winzer, die authentische und oft köstliche Weine anbieten. Diese Weine können nicht billig sein, sie haben ihren verdienten Preis. Andererseits bilden billige Biomassenweine aus Südfrankreich, Italien und Spanien das Gros des Marktes. Vor allem Literqualitäten zwischen drei und fünf Euro pro Flasche dominieren. Sie entstehen meist in großen Kooperativen, in Südfrankreich, Spanien oder Italien. Durch die zunehmende Konkurrenz ist die Qualität gestiegen. Doch die Billigerzeuger geraten in einen brutalen Preisdruck. Denn die Preise sind seit zehn Jahren fast unverändert geblieben, während die Kosten gestiegen sind. Bioweintrinker, die den billigen Preis höher anschlagen als den Geschmack, unterstützen eine bedenkliche Entwicklung. Sie unterläuft den ökologischen Gedanken. Denn der brutale Preisdruck treibt viele Winzer an einen Punkt, an dem sie nicht mehr kostendeckend arbeiten. Und vielleicht im Verborgenen wieder zur chemischen Keule greifen.

Philippe Carnoy sieht diese Entwicklung sehr kritisch, aber er ist trotzdem optimistisch, was die gesamte Entwicklung des ökologischen Weinmarkts betrifft. „Bioweine haben eine gute Karte, weil die EU-Richtlinien immer strenger werden“. So muss demnächst der Schwefelgehalt des Weines auf dem Etikett deklariert werden. Und Bioweine enthalten deutlich weniger Schwefel als konventionelle Weine. Ein Wettbewerbsvorteil auf dem Weinmarkt der Zukunft.

„Die nächste Bewährung für Bio kommt, wenn die Industrie es damit versuchen wird“, sagt Carnoy. Droht demnächst Aldi-Biowein für 99 Cent? „Bio ist nicht so einfach, du kannst nicht einfach Bio produzieren.“ Dann fügt er entschlossen an: „Dazu brauchst du Menschen, die anders denken und arbeiten.“ Menschen wie Hubert Laferrère.