nebensachen aus sarajevo
: Wenn Diplomaten angepisst werden

Wer von Berlin nach Sarajevo kommt, dem fällt vor allem eines auf: Wo sind die Kopftücher, die einen noch vor kurzem in den Stadtteilen Moabit und Kreuzberg massenhaft umgeben haben? In der zu 85 Prozent von Muslimen bewohnten Stadt Sarajevo sind nur wenige Frauen mit der Kopfbedeckung vieler Musliminnen zu sehen, die bei uns so erregte Diskussionen ausgelöst hat.

Dass hier Kopftücher, wenn überhaupt getragen, dann meistens elegant, durchsichtig und Ton in Ton mit der Robe abgestimmt daherkommen, löst fast einen Kulturschock aus, wenn man längere Zeit in der deutschen Hauptstadt gewesen ist.

Nein, die Frauen hier haben andere Prioritäten. Da die Mehrheit der Bevölkerung immer noch am Existenzminimum herumkrebst und die meisten Familien mit 500 bis 600 Konvertiblen Mark (KM, umgerechnet 250 bis 300 Euro) auskommen müssen, gehört schon einiges an Planung dazu, genügend Essen auf den Tisch zu bringen.

Azra, eine Nachbarin und Mutter von drei Kindern, verrät das Geheimnis, wie das trotzdem gelingt: mit der Pita. Der Teig wird dünn ausgerollt, mit dem „mladi sir“, dem jungen Käse, der mit einem Ei gebunden wird, bestrichen und dann wieder eine Schicht Teig darüber gelegt. Die Füllung kann auch aus ein bisschen Hackfleisch oder vielen Kartoffeln bestehen. Das Ganze kostet dann so um die 3 Konvertible Mark.

So bleibt dann auch noch für Azra ein bisschen Geld für Kultur übrig. Die Theater der Stadt sind täglich ausverkauft. Der Renner der Saison ist „Katarina Kosaca“ des Regisseurs Gradimir Gojer, der Eintritt kostet 5 KM. Das Stück dreht sich um die letzte bosnische Königin Katarina, die nach dem Sieg der Türken Asyl im Vatikan gefunden hat. Ihre beiden Kinder wurden von den Türken geraubt und muslimisch erzogen. Der Papst zwang die Anhängerin der bosnisch christlichen Kirche, die vom Vatikan und den Orthodoxen unabhängig war, dazu, die katholische Kirche als Rechtsnachfolgerin einsetzen. Das bosnische Schicksal also. Die äußeren Mächte erobern das Land und bemächtigen sich seiner Geschichte, interpretieren sie in ihrem Interesse und unterdrücken die bosnische Tradition.

Zurzeit sind neue Ausländer die Herrscher, die Diplomaten und Militärs der „internationalen Gemeinschaft“. Sie bewohnen die besten Häuser und Wohnungen, fahren mit ihren großen Allradautos über die im kalten und schneereichen bosnischen Winter vereisten Straßen. Und das oftmals zu schnell.

Selbst der alte Klapperkasten des Reporters erfreute sich bei den Polizisten bis vor kurzem einer bevorzugten Behandlung. Das Vorzeigen des Presseausweises genügte, um der gerechten Strafe zu entgehen. Der Polizist nahm Haltung an und begnügte sich mit dem freundlichen Hinweis, künftig die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu achten. Doch vor wenigen Tagen kam es anders. Die Papiere wurden sorgfältig geprüft und ein Strafzettel ausgeschrieben. 20 KM für 15 Stundenkilometer zu viel. Der Polizist muss das Theaterstück gesehen haben.

Selbst Reporterhund Stipe fängt an, die Isignien der Macht zu missachten. Denn wie alle Herrscher haben auch die heutigen Diplomaten die Tendenz, etwas für die „Ewigkeit“ zu hinterlassen. Am südostlichen Ende der Stadt, entlang dem Tal des Miljacka-Flusses, wo Hunde immer freien Auslauf hatten, ist jetzt die „Allee der Botschafter“ angelegt. Jeder Botschafter spendete ein Bäumchen. Dieses ist von einer Mauer eingerahmt, an der eine Tafel mit dem Namen des Spenders hängt. Unbedacht blieb, dass diese Mäuerchen Hunde geradezu herausfordern, ihr Geschäft dort zu verrichten.

ERICH RATHFELDER