Auf der Suche nach dem Sinn

Härtefallkommission kämpft um ihre Autorität: Fast jede dritte Empfehlung wurde seit Januar von Innensenator Körting (SPD) missachtet. Flüchtlingsrat: Kommission „kein geeignetes Instrument“

VON ANNE BECKER

„Erst haben sie die Augen aufgerissen, und dann hat die ganze Familie angefangen zu heulen. Kurz darauf kamen sie mit einem riesigen Blumenstrauß.“ So schildert Traudl Vorbrodt die Reaktion einer von der Abschiebung bedrohten Roma-Familie aus dem Kosovo, die über die Härtefallkommission vor wenigen Tagen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat. Trotz der frohen Botschaft, die sie überbringen durfte, ist Traudl Vorbrodt dieser Moment unangenehm. „Menschen zu sagen: ja, bis jetzt wart ihr unerwünscht, aber nun dürft ihr bleiben, ist mir jedes Mal wieder peinlich“, so die Menschenrechtlerin, die für den Flüchtlingsrat in der Kommission sitzt. „Denn es sollte doch etwas Selbstverständliches sein.“

Die fünfköpfige Roma-Familie war aufgrund des Bürgerkriegs in Exjugoslawien 1993 nach Berlin geflüchtet. Zwölf Jahre lang lebte sie hier unter Duldung. „Der innere Wandel, der sich in Menschen vollzieht, wenn sie plötzlich eine Lebensperspektive vor Ort entwickeln können, kann sich eine Außenstehende wohl kaum vorstellen“, sagt Vorbrodt. Die Eltern dürfen nun erstmals arbeiten, die Kinder sich um einen Ausbildungsplatz bemühen. Dass der Vater einen Arbeitsplatz gefunden hat, war entscheidend. Denn eine Aufenthaltserlaubnis erhält in aller Regel nur, wer nachweisen kann, dass er künftig nicht von Sozialhilfe leben muss.

Im Eiltempo hat die Kommission in ihren ersten drei Sitzungen 74 Fälle beraten und in 72 Fällen für eine Aufenthaltserlaubnis plädiert. Doch schon 23 Mal wurden die Empfehlungen von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) abgewiesen. „Wir dachten, dass es eine Verbesserung ist, wenn statt der Ausländerbehörde nun die Innenverwaltung entscheidet“, sagt Sprecher Jens-Uwe Thomas vom Flüchtlingsrat. Nun könne man sich dessen nicht mehr sicher sein.

Vor allem die Begründungen des Senats verwundern: Im Fall des vor zwei Wochen abgeschobenen Angolaners Manuel Barros hieß es, die vorgebrachten Gründe seien schon im Asylverfahren als nicht ausreichend befunden worden. „Dabei ist der Knackpunkt der Kommission, dass sie unabhängig von der Rechtslage aus humanitären und persönlichen Gründen für einen Aufenthalt plädieren kann“, so Thomas. Kaum nachvollziehbar ist auch die Begründung im Fall des Bosniers Goran Railić: schlechte Schulnoten gaben den Ausschlag (siehe Bericht unten).

„Es wäre sicherlich besser, wenn Körting stärker an unser Votum gebunden wäre“, erklärt Pfarrer Volkmar Deile, der für die evangelische Kirche in der Kommission sitzt. Auch Kommissionsmitglied Thuy Nonnemann erklärt, es sei „frustrierend“, wenn unsere Empfehlung „nicht respektiert werde“.

Für Pfarrer Deile ist es noch zu früh, ein erstes Urteil über die Kommission zu fällen. „Wir arbeiten unter totalem Zeitdruck und kommen bis jetzt gar nicht dazu, unsere Erfahrungen auszutauschen und auszuwerten“, so Deile. Auch die Kapazitäten sind stark begrenzt. Denn alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich, und der Andrang ist groß. Allein 160 Anträge aus dem vergangenen Jahr müssten noch abgearbeitet werden, so der Pfarrer. Dazu kämen schon 70 neue aus diesem Jahr. Auf das Jahr hochgerechnet seien das 500 bis 600 Fälle. Im Moment sei es stattdessen wichtig, „Erfahrung zu sammeln, um einschätzen zu können, wie schwer einzelne Kriterien wiegen – für uns und für Herrn Körting“, sagt Deile.

Für Jens-Uwe Thomas wird hingegen jetzt schon deutlich, dass „die Kommission kein geeignetes Instrument ist, um einer größeren Anzahl von Menschen einen Aufenthalt zu ermöglichen“. Auch Traudl Vorbrodt hat „den Eindruck, dass zu viel in die Kommission projiziert wird“. Einzelfallregelungen könnten keine Bleiberechtsregelung ersetzen. Außerdem könnte die Kommission „höchstens eine befristete Aufenthaltserlaubnis, kein Bleiberecht“ erwirken.

Für die Innensenatsverwaltung hingegen ist die Härtefallkommission schon heute ein Erfolg. „Die erste Bilanz ist sehr positiv“, so Körtings Sprecherin Henrike Morgenstern zur taz. Zu den Gründen für die Ablehnungen wollte sie sich nicht äußern.