THERAPIE AM TAXAMETER

VON ULRIKE STÖHRING

Das Spitzenunternehmen Deutsche Bahn hatte fast fünf Stunden gebraucht, mich von Lüneburg nach Berlin zu transportieren. Am Hauptbahnhof angekommen, vermeldete die S-Bahn eine Signalstörung auf unbestimmte Zeit. Entnervt sagte ich dem öffentlichen Schienenwesen adieu.

Der Taxifahrer sprang mir aus seinem Wagen fast auf den Arm und machte den Eindruck, als hätte er den ganzen Tag einzig und allein auf mich gewartet. Nachdem meine kleine Tasche liebevoll im Kofferraum verstaut war, konnte es losgehen. Gespräche mit Taxifahrern, die über einen kurzen Wetterbericht hinausgehen, versuche ich nach Möglichkeit zu vermeiden, denn bei der Erörterung anderer Themen habe ich häufig den Eindruck gewonnen, dass ein solider Rassismus zur Einstellungsvoraussetzung der Berliner Taxiinnung gehört. Mein Fahrer aber schien dringend reden zu wollen. Die Krise sei bereits in seinem Gewerbe angekommen. Man würde sich jedoch wappnen. Ideen seien gefragt und bald würde ein ganz neuer Wind wehen. Sicher bin ich etwas überempfindlich, aber der Spruch mit dem Wind müffelt für mich nach Guido Westerfönwelle. Was gibt es an dem überschaubaren Unternehmen, Menschen von A nach B zu kutschieren, so grundlegend zu ändern?

„Wir tragen alle bald Anzüge“, bekundete mein Fahrer stolz, „mit Schlips und Kragen!“ Er begann nun lebhaft mit dem Po zu ruckeln. Die Schmutzfinken unter den Kollegen würden kontrolliert, stracks zum Putzen erzogen und Englisch würde auch gepaukt. Ganz nach vorn würde die Branche aber nur radikales Umdenken bringen: „Wenn wir zum Beispiel einen Gast von Ikea nach Hause fahren, bauen wir auf Wunsch die Regale mit auf, oder programmieren Fernseher, wir machen alles, was so anfällt.“ Mir wurde Angst angesichts solcher Multitalente: „Hausgeburten führen Sie aber nicht durch?“, versuchte ich zu scherzen. Mein Fahrer verzog keine Miene, er schien es sich überlegen zu wollen …

Philosophen und Therapeuten wurden im Gewerbe ja ohnehin schon immer gern beschäftigt. In einer sehr dunklen Nacht vor einigen Jahren hatte ich auf der Rückbank eines Taxis stumm und bitterlich vor mich hin geweint. Der Fahrer, Typ Hagestolz, machte selbst nicht den Eindruck einer Frohnatur. Wir waren einige Zeit schweigend gefahren, als sich unsere Blicke im Rückspiegel trafen: „Liebeskummer?“, brummte er. Ich nickte. „Fahre ich dich gerade von ihm weg oder zu ihm hin?“ – „Zu ihm hin …“ Mit einem Ruck kamen wir zum Stehen. Mein sensibler Kutscher meinte, er fände das geradezu gestört und ich hätte bestimmt Besseres verdient und nach Mitternacht läge nie ein Segen auf solchen Aktionen. Er rang geradezu die Hände. Trotzdem schlug ich sein Angebot, mich ohne Taxameter wieder nach Hause zu fahren, aus. Die Geschichte gab ihm später recht, und ich sollte noch oft an ihn denken. Hoffentlich muss er nicht demnächst auch noch Regale aufbauen. Im Anzug, Englisch sprechend, das Taxi ganz allein, draußen im frischen Wind.