Lessing! Goethe!

Braunschweig wirbt mit Promis im Promi-Kreis. Und das müssen dann auch gar nicht alle Braunschweiger sein

Anlässlich der Bewerbung Braunschweigs für den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ hat die Lokalzeitung vor Ort ein hübsches Sonderheft herausgegeben, mit dem Titel „Die 100 größten Braunschweiger“. Die neun größten Braunschweiger sind bereits auf dem Titelblatt abgebildet. Einen davon erkennt man sofort: Den Mathematiker Carl Friedrich Gauß, der auf dem alten Zehnmarkschein abgebildet war. Der zweite große Braunschweiger ist Gotthold Ephraim Lessing.

Lessing? Der kam doch nie im Leben aus Braunschweig! Zumindest begraben aber liegt der Dichter in Braunschweig, und er war in Wolfenbüttel Bibliothekar. Und Wolfenbüttel ist ja ganz nah dran an Braunschweig und möchte ebenfalls Kulturhauptstadt werden. Genauso wie Wolfsburg, Salzgitter, Peine, Goslar, Gifhorn und Helmstedt. Weil nämlich die Braunschweiger Stadtväter nicht wollten, dass in der Liste der 100 größten Braunschweiger am Ende auch Biographien von 2,07 Meter großen Busfahrern und 1,86 Meter großen Krankenschwestern auftauchen, hat man gleich das ganze Umland mit in das Rennen um den Titel Europäische Kulturhauptstadt geschickt.

„Braunschweig und die Region“ nennt sich das Konzept, das die Niedersachsen Ende Januar, eine Woche nach dem Besuch der Jury in der Stadt, in der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin präsentierten. Ministerpräsident Christian Wulff, Oberbürgermeister Gert Hoffmann (beide CDU) und Bewerbungs-Kurator Christoph Stölzl berichteten dort, dass schließlich auch Goethes „Faust“ seinerzeit in Braunschweig uraufgeführt wurde. Jürgen Trittin, Cherno Jobatey und die rund 350 anderen geladenen Gäste werden das so schnell nicht vergessen.

Dann gibt es in Braunschweig noch die bekannte Atomuhr, in Wolfsburg eine Autofabrik und in Wolfenbüttel Lessing, Lessing und nochmals Lessing. Daher durfte bei der Präsentation auch eine Aufführung der Ringparabel aus „Nathan der Weise“ nicht fehlen. Weiter wurde man durch Werke von Wagner, Bach, Strauss und Tschaikowsky unterhalten. Warum? Weil die Akteure teils zum Ensemble des Braunschweiger Staatstheaters gehörten.

Unter Bewerbungs-Beobachtern gilt Braunschweig als Außenseiter. Nahezu trotzig klingt es so, wenn lokale Musicaldarsteller singen: „Braunschweich, Braunschweich, wir sind der Nabel der Welt“, und die Wolfsburger Allgemeine Zeitung klagt, dass sich Modedesigner Wolfgang Joop für seine Wahlheimat Potsdam stark machen will, obwohl er in Braunschweig zur Schule gegangen ist. Vielleicht sollte man es Lessings Nathan gleichtun und elf gleiche Ringe schmieden. Dann könnte man einfach die Region Deutschland zur Europäischen Kulturhauptstadt machen, und die Braunschweiger wären fein raus. Ebbe Volquardsen