Vager Kompromiss

Abschiebungen unter ärztlicher Aufsicht: Die Bundesärztekammer hat den Innenministern einen Kriterienkatalog abgerungen, an den sich nun im Norden gar nicht alle Länder halten wollen

Ärzte können Abschiebungen stoppen, wenn sie in deren Verlauf schwer wiegende Gesundheitsgefahren für die Betroffenen feststellen. Darauf hat sich eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Bundesärztekammer und der Innenminister der Länder im Rahmen eines „Informations- und Kriterienkatalogs zur Mitwirkung von Ärzten bei Rückführungsmaßnamen“ geeinigt.

Während in Schleswig-Holstein und Bremen noch keine endgültigen Entscheidungen über Konsequenzen aus dem Papier getroffen wurden, haben die CDU-geführten Länder im Norden bereits ihre Ablehnung signalisiert. „Das ist für uns nicht von Belang“, erklärte der Pressesprecher des Innenministeriums in Niedersachsen, Klaus Engemann. Ähnlich äußerte sich Norbert Smekal von der Hamburger Innenbehörde: Die Feststellung von Abschiebehindernissen sei Aufgabe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Ärzte hätten lediglich die Reisefähigkeit zu überprüfen.

In dem Kriterienkatalog werden jedoch Vereinbarungen getroffen, die von dieser Sichtweise abweichen. Falls der begleitende Arzt noch während der Abschiebung lebensbedrohliche gesundheitliche Gefahren für die Betroffenen im Heimatland vermutet oder die Abschiebung selbst den Gesundheitszustand extrem beeinträchtigt, soll er die Abschiebung abbrechen können.

Flüchtlingsorganisationen warnen allerdings davor, die Bedeutung des Kriterienkatalogs überzubewerten. In dem Papier werde dargelegt, was jeder Arzt auch bisher schon hätte tun können, stellte Bernd Mesovic von Pro Asyl fest. Viele Formulierungen seien unbestimmt, äußerte Kai Weber, Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrates. Er finde es jedoch begrüßenswert, dass die Ärzte auf einer „ganzheitlichen Betrachtung der Gesundheitssituation“ von Flüchtlingen und Asylbewerbern beharren würden. Es sei gelungen, eine „bruchlose Einbindung der organisierten Ärzteschaft in Abschiebungsvollzüge“ zu verhindern. Insgesamt handele es sich um ein Kompromisspapier, dem die verschiedenen Interessen anzusehen seien.

Geht es nach den Vorstellungen der Ausländerbehörden und Ministerien, sollen Ärzte lediglich die Reisefähigkeit begutachten und die Durchführung der Abschiebung medizinisch ermöglichen. Der Bundesärztetag und die Ärztekammern von Bund und Ländern haben sich jedoch immer wieder gegen eine Instrumentalisierung von Ärzten für die reibungslose Durchführung von Abschiebungen gewehrt. Eine Beschränkung auf die Begutachtung der Reisefähigkeit werde abgelehnt, hieß es im Abschlussprotokoll des Deutschen Ärztetages vom Mai letzten Jahres. Diese Position ist nun in dem Kriterienkatalog festgeschrieben worden. Von der Bundesärztekammer wird er daher als Erfolg verbucht.

Nach Auffassung von Otmar Kloiber, bis Januar stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer und inzwischen Generalsekretär des Weltärztebundes, beinhaltet der Kriterienkatalog eine wichtige Neuerung gegenüber der bisherigen Praxis. „Die größte Schwierigkeit war, dass die Tätigkeit der Ärzte auf die reine Prüfung der Flugtauglichkeit beschränkt war“, erklärte Kloiber gegenüber der Ärzte Zeitung. Nun jedoch könne der Arzt auch Abschiebungshindernisse vorbringen, die ihre Ursache im Zielstaat hätten.

Während Nordrhein-Westfalen den Katalog bereits in einen Erlass umgesetzt hat und die Mitarbeiter der Ausländerämter entsprechend geschult werden, wollen die CDU-geführten Länder lieber alles beim Alten lassen. „Wir machen das nicht“, verkündete Engemann vom niedersächsischen Innenministerium. Auch Smekal von der Hamburger Innenbehörde stellte klar: „Bei uns wird es definitiv keinen Erlass wie in NRW geben.“ Nach Informationen des Niedersächsischen Flüchtlingsrats wollte die Mehrheit der CDU-geführten Länder den Kriterienkatalog nicht unterschreiben.

Trotz ihrer Verweigerungshaltung werden die unionsgeführten Länder jedoch kaum umhinkommen, dem Kriterienkatalog über die „Mitwirkung von Ärzten und Ärztinnen bei Rückführungsmaßnahmen“ bereits jetzt Beachtung zu schenken. Denn eine große Zahl der Abschiebungen wird über den Flughafen Düsseldorf durchgeführt. Und Düsseldorf liegt bekanntlich in Nordrhein-Westfalen.

ACHIM BEINSEN