UN-Friedenstruppen als Vergewaltiger

Neue Enthüllungen über sexuellen Missbrauch durch UN-Soldaten im Kongo erschüttern die weltgrößte UN-Mission. In Goma erinnern sich die Menschen gut an das nächtliche Treiben marokkanischer und südafrikanischer Blauhelme

BERLIN taz ■ Der Sexskandal der UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Monuc) weitet sich aus. Am Wochenende wurde der Chef des marokkanischen Truppenkontingents im Kongo und sein Stellvertreter von Marokkos Regierung entlassen, und sechs weitere ehemalige marokkanische UN-Soldaten aus der Kongo-Mission wurden in Marokko festgenommen. Sie sollen wegen sexueller Übergriffe vor Gericht gestellt werden.

Zugleich strahlte der US-Fernsehsender ABC Sexvideos aus, die der einstige französische Monuc-Mechaniker Didier Bourguet aufgenommen hatte. Bourguet, der am 31. im Oktober 2004 aus dem Kongo heimgeschickt und in Paris verhaftet worden war, steht unter Anklage wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und hatte die Bilder auf seinem Computer gespeichert. Auf einem soll ein weinendes Mädchen zu sehen sein.

Bourguet hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Weitere 19 Blauhelmsoldaten aus Marokko, Nepal, Pakistan, Südafrika, Tunesien und Uruguay, deren sexuelle Übergriffe von einer ersten internen UN-Untersuchung Anfang Januar bestätigt worden waren, sind bislang nicht in ihren Heimatländern belangt worden. Die meisten von ihnen hatten sich an Flüchtlingsmädchen im nordostkongolesischen Bunia vergangen. Bourguet war in Ostkongos einstiger Rebellenhauptstadt Goma stationiert.

„Sie zahlen für Sex in der Stadt, sie zahlen sehr wenig und sie bezahlen kleine Mädchen“, sagt Lyn Lusi, britische Ärztin der US-Nothilfeorganisation „Doctors on Call for Service“ (Docs) in Goma. Sie hat schon zahlreiche Vergewaltigungsopfer betreut – hunderttausende Kongolesinnen sind von Milizionären brutalst missbraucht worden, und diese Art sexueller Gewalt als Kriegswaffe dauert an. Die UN-Blauhelme hingegen locken ihre Opfer mit Geld zu käuflichem Sex, sagt Lusi. „Es findet sexueller Missbrauch statt, aber nicht sexuelle Gewalt“, so die Ärztin über das Treiben der Blauhelme. „Man wird kaum ein Kind finden, das gewaltsam zum Sex gezwungen wurde.“

Onesphore Sematumba von der einheimischen Nichtregierungsorganisation „Pole Institute“ erinnert sich anders. „Die Marokkaner fingen damit an“, erzählt er. „Sie gingen in die Bars auf der Suche nach kleinen Mädchen. Sie legten Geld zusammen: drei bis vier von ihnen gaben einem Mädchen ein oder zwei Dollar und schliefen nacheinander mit ihm. Dann wurde das Mädchen ins Krankenhaus gebracht.“

Marokkaner gehörten zu den ersten Monuc-Kontingenten in Goma nach Beginn der UN-Stationierung dort im März 2001. Sie wurden 2003 von Südafrikanern abgelöst, die sich noch viel intensiver mit der lokalen Bevölkerung einließen, so Sematumba weiter: „Die Südafrikaner wurden viel häufiger erwischt. Mit ihnen kamen ganze kongolesische Familien, die sie in ihren früheren Stationierungsorten geheiratet hatten. Die ließen sich am Flughafen nieder.“ Südafrikas UN-Soldaten frequentierten Kneipen und Vergnügungsstätten ausgiebig, mit allen nächtlichen Begleiterscheinungen. Seit einigen Wochen werden die südafrikanischen Kontingente von Soldaten aus Bangladesch und Pakistan abgelöst. „Die sind nicht so allgegenwärtig“, sagt Sematumba. „Sie sind Muslime, sie trinken kein Bier und fahren nicht Motorrad. Sie leben getrennt von der Bevölkerung.“

Dennoch liegt nach wie vor direkt neben dem Hauptquartier der humanitären UN-Abteilung OCHA in Goma der teuerste Puff der 500.000 Einwohner zählenden Stadt. Die Zahl von 72 sexuellen Übergriffen durch UN-Soldaten im Kongo, die die UNO bisher untersucht und nur in 20 Fällen bestätigt hat, ist weit untertrieben – schließlich ist die Monuc mit über 13.000 Soldaten die größte UN-Truppe der Welt. In vielen ihrer Stationierungsorte sind UN-Mitarbeiter die einzigen Bewohner mit einem regulären und reichlichen Einkommen, und die verarmte Bevölkerung will daran teilhaben.

Letzte Woche erklärte UN-Generalsekretär Kofi Annan, die Monuc habe strikte neue Verhaltensregeln eingeführt: ein striktes Verbot der „Fraternisierung“ mit der Bevölkerung, Kasernierung und Ausgangssperre. Ersten Berichten zufolge wird dies nicht befolgt. DOMINIC JOHNSON

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