Massenflucht zur UNO im Kongo

80.000 Vertriebene im Unruhedistrikt Ituri suchen Schutz in UN-geschützten Lagern. Die Hälfte davon kam erst in den letzten Tagen. Ethnische Kämpfe immer brutaler

BERLIN taz ■ Ein neues Flüchtlingsdrama entwickelt sich im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Wie UN-Stellen im nordostkongolesischen Distrikt Ituri Ende letzter Woche mitteilten, steigt die Zahl der Vertriebenen, die bei UN-Soldaten und in vier von Blauhelmen bewachten Lagern nördlich der Distrikthauptstadt Bunia Schutz suchen, dramatisch an. Von 40.-50.000 vor einer Woche sei die Zahl bis zum Wochenende auf 85.000 gestiegen, erklärte Damien Personnaz, Sprecher des UN-Kinderhilfswerks Unicef. Tausende weitere hielten sich in den Wäldern versteckt. Im Nachbarland Uganda registriert das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR jeden Tag 200 neue Flüchtlinge aus dem Kongo. „Die ganze Gegend befindet sich in völligem Chaos“, so Personnaz.

Der Flüchtlingsansturm ist Ergebnis eines erneuten Aufflammens von Kämpfen zwischen Milizen der Hema- und Lendu-Völker, die bereits 1999–2003 einen blutigen Vernichtungskrieg mit 60.000 Toten und 500.000 Vertriebenen gegeneinander geführt hatten. Lendu-Milizen begannen Ende 2004 mit einer neuen Offensive gegen Hema-Siedlungsgebiete in den steilen Bergen am Albertsee, der die Grenze zu Uganda bildet.

In der Nacht zum 26. Januar verwüsteten Lendu-Kämpfer der „Nationalen Kräfte der Integration“ (FNI) das Dorf Che, in dem 7.000 vertriebene Hema gelebt hatten. Als UN-Soldaten einige Tage später dort eintrafen, suchten 9.000 verängstigte Menschen bei ihnen in improvisierten Lagern Schutz. Manche waren Opfer brutaler Vergewaltigungen geworden; viele waren an Durchfall erkrankt. Schlechtes Wetter und das Nichtvorhandensein einer Infrastruktur machte ihre Versorgung nur über den Luftweg möglich. Weitere 7.000 ließen sich am See nieder, wo sie nur per Boot versorgt werden konnten. Insgesamt zählten Hilfswerke im Kampfgebiet über 40.000 neue Flüchtlinge seit Jahresanfang. Nun hat sich die Zahl verdoppelt.

Die größte Hema-Gruppierung UPC (Union kongolesischer Patrioten) rief aus Protest gegen die Vertreibungen zu einem einwöchigen Generalstreik in Bunia auf, der am Wochenende zu Ende ging. Hema-Führer kritisieren, dass UN-Hilfswerke bedrohten Zivilisten nur dann helfen, wenn sie sich in Lager begeben, während angegriffene Dörfer nicht von UN-Truppen geschützt werden. Zudem sollen in den Lagern auch bewaffnete Kämpfer leben. Lendu-Führer haben ihrerseits die Übergriffe ihrer Milizionäre auf Hema-Zivilisten verurteilt. DOMINIC JOHNSON