Ein brauchbarer Mythos von einer Stadt

Ob Nazis, SED oder Neonazis – gleich in den ersten Wochen nach der Zerstörung begann die Instrumentalisierung des Gedenkens

DRESDEN taz ■ Dresden, das war noch bis weit in die 70er-Jahre hinein eine Stadt, die sich nur mühsam von einer fast tödlichen Wunde zu erholen schien. Ein unorganisches Konglomerat von Zitaten und Überresten der alten Stadtlegende, ahnungsvoll erhaltenen Außenbezirken, Brachflächen und vielen Aufbausünden. Im Grunde hat sich bis heute nicht viel geändert – auch nicht an der Beschwörung einer sagenhaften versunkenen Stadt, die an einem Tag feierlich kulminiert. Auf den 13. Februar 1945 waren die Berichte der Alten bezogen. Auch auf die Nachgeborenen und Zugezogenen übte dieser Mythos noch solche Anziehungskraft aus, dass man nach Prag fuhr, um den in der DDR vergriffenen Bildband „Das alte Dresden“ von Fritz Löffler zu ergattern.

Dieser Mythos existiert unabhängig von offiziellen Gedenkritualen wirklich, abgeschwächt vielleicht und inzwischen eher von einer älteren Generation getragen. Er wäre aber nicht denkbar ohne seine Vorgeschichte. Über zweieinhalb Jahrhunderte war der Ruf des „Elbflorenz“ gewachsen. Kunststadt und Residenz, beides prägte den sprichwörtlichen Konservatismus der Dresdner und ihren Stolz. Das „Heiligthum der Kunst“, so die Aufschrift über der Sempergalerie, schien unberührbar. Dass es dennoch größtenteils unwiederbringlich zerbombt wurde, hat ein Trauma geschaffen.

Dieses Trauma, so Matthias Neutzner von der Interessengemeinschaft (IG) „13. Februar“, konnte wegen der sofort einsetzenden Instrumentalisierung des Infernos jahrzehntelang nicht aufgearbeitet werden. Die „kollektive Erzählung“, so eine seiner Thesen, war noch unter dem Einfluss der Nazi-Propaganda schon bei Kriegsende 1945 fertig, wurde vom SED-Regime teilweise übernommen und lebt bis heute nicht nur bei den Neonazis fort. Es ist die Legende von einer idealisierten, unschuldigen Stadt. Geopfert wurde sie in einem angeblich bereits entschiedenen Krieg alliierter Rachsucht oder taktischen Erwägungen. Denn Churchill wusste, dass hier die Sowjets einziehen würden.

So steht es in dem Buch „Inferno Dresden“ des ersten Nachkriegsoberbürgermeisters Walter Weidauer, das lange den offiziellen Tenor des Gedenkens bestimmte. Ab 1950 betonten Massendemonstrationen nicht nur den antifaschistischen Friedensstaat DDR, sondern geißelten das Bombardement als „Visitenkarte des angloamerikanischen Imperialismus“. Die Demonstrationen mit teils mehr als 200.000 Teilnehmern verschwanden 1971. Inzwischen überwog bei den offiziellen Parolen der Stolz auf den Wiederaufbau. Nur 1985, als am 13. Februar die Semperoper wieder eingeweiht wurde, gab es noch einmal einen Massenaufmarsch.

Neben dem offiziellen, privaten und künstlerischen Gedenken kam ab 1982 noch eine wichtige Komponente hinzu. Von der Kreuzkirche bewegte sich erstmals ein Zug von Menschen mit Kerzen in der Hand zur Ruine der Frauenkirche. Die Tradition der ökumenischen Friedensgebete entstand und nahm Einfluss auf die gesamte Friedensbewegung in der DDR. Dass 1988 Ausreisewillige vor der Frauenkirche ihre Plakate zeigten, war letztlich auch ein Missbrauch dieses Gedenkens.

Staatlicher Argwohn war im Grunde völlig unangebracht. Denn diese Friedenssehnsucht stimmte auch mit der offiziellen Botschaft überein: „Nie wieder Krieg!“ Diese Lehre der Geschichte ließ eine in Dresden besonders hartnäckige Konservierung des Schreckens legitim erscheinen. Sie droht allerdings im zunehmend pluralen Charakter des 13. Februar nach 1990 unterzugehen. Endlich bekam auch die persönliche Erinnerung, die individuelle Trauer, Raum. Zugleich aber stellten sich zunächst befremdliche Plakate, dann rechtsextremistische Aufmärsche mit wachsender Teilnehmerzahl ein. Sie greifen die Nazi-Heroisierung und Symbolisierung der Stadt als Terroropfer wieder auf. Das stößt bei Dresdnern auf eine nicht zu vernachlässigende Resonanz und verweist auf Verdrängung und Fehler in der Vergangenheit. Nicht von ungefähr wird von dem runden Dutzend der Buchtitel zum Thema das einseitig auf deutschen Opferkult ausgerichtete „Dresden – Februar 1945“ von Franz Kurowski am besten verkauft.

In diesem Gärungs- und Klärungsprozess bietet die Erinnerungskultur aber auch Konstanten. Das Requiem „Wie liegt die Stadt so wüst“ des damaligen Kreuzkantors Rudolf Mauersberger in der Kreuzkirche gehört dazu, Gebete in den Kirchen und Konzerte, das Glockenläuten um 21.45 Uhr und die Kerzen an der Frauenkirche. MICHAEL BARTSCH