Unscharfes Universum wird monochrom

Die NRW Kunstsammlung (K20) zeigt eine umfangreiche Retrospektive des Malers Gerhard Richter. 120 Gemäldeund Skulpturen bilden das Schaffen des bekanntesten und teuersten deutschen Künstlers der Gegenwart ab

Der Akt „Ema“ von 1966, mit dem er berühmt wurde, ist nicht da, der Baader/Meinhof-Zyklus hängt nirgends. Aber die 48 Portraits, mit denen er 1972 bei der Biennale Venedig für Aufsehen auf der internationalen Malerszene sorgte: Die Retrospektive von Gerhard Richter, 73, in der NRW Kunstsammlung (K20) schafft locker den verwirrenden schwarzweißbunten Augenterror, der bei einem Chamäleon der Kunst zwangsläufig ist. Der bedeutendste deutsche Maler der Gegenwart – und wahrscheinlich auch der teuerste – wirkt im Blitzlichtgewitter eher schmächtig vor seinen großformatigen, abstrakten Arbeiten der vergangenen Jahre. In den 1960er Jahren kamen manchmal nur ein Dutzend Menschen zu seinen Ausstellungseröffnungen, 2005 wird der Name Richter bereits weltweit bei über 20 Einzel- und Themenausstellung genannt, Hunderte drängeln sich dann am ersten Tag um neue Kunstwerke, die unter Superreichen wie Bluechips gehandelt werden. Die Düsseldorfer Retro geht anschließend ins Lenbachhaus nach München, dann nach Japan. Das spart allen Museen viel Geld. „Allein die Transporte der über hundert Arbeiten sind ein erheblicher Kostenfaktor“, sagt K20 Direktor Armin Zweite.

„Es können gar nicht mehr alle Arbeiten auf einmal gezeigt werden“, sagt Richter und beziffert sein Oeuvre auf mindestens 3.000 Werke. Es habe aber objektive Gründe gegeben, bestimmte Werkreihen nicht zu zeigen – die bekanntesten Bilder werden wohl einfach zu oft ausgestellt. Richters Thema ist die Malerei selbst, sie untersucht und hinterfragt er seit Jahrzehnten fast bis zum pinselzerstörenden Exzess. Dabei wechselt er Stile, Themen und Arbeitsweisen wie kein anderer, Werktreue ist für ihn ein Fremdwort. „Wenn man von einer Sache genug hat, dann muss man was anderes tun“ – das ist seine Prämisse.

Die Schau in Düsseldorf ist inhaltlich umfassend und quirlig quer durch die Entstehungsjahre gehängt – der Meister ist bei der Konzeption immer persönlich vor Ort. So lassen sich über Jahrzehnte bestehen bleibende Muster der Hinterfragung erkennen. Abstrakt oder nicht, „gerade in den realistischen Bildern entdecke ich wenig Gegenständliches“, sagt Helmut Friedel, Museumsleiter des Münchner Lenbachhauses. Eine ganze Wand füllt „Acht Grau“ von 2002, eine Auftragsarbeit für das Gropius in Berlin: Monochromes Email auf Glas mit aufwändiger sichtbarer Stahlaufhängung. Abgebildet werden auf den acht leicht geneigten Spiegelflächen nur die Besucher selbst. Sonst nichts – dagegen wirkt die jüngste Arbeit „Waldhaus“ von 2004 fast hyperrealistisch. Der in Dresden geborene Gerhard Richter wuchs in der Oberlausitz auf, verlies im Nachkriegsdeutschland Ost bereits mit 16 Jahren die Schule, tingelte mit Laienschauspielern, malte später Spruchbänder für einen volkseigenen Betrieb. Der schickte ihn 1951 an die Dresdner Kunstakademie. Wenige Monate vor dem Mauerbau floh er 1961 aus der DDR und studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Karl Otto Götz, dem Vorreiter des deutschen Informel. Mit seinen schwarzweißen Unschärfebildern, deren Motive er zum Teil in Zeitschriften fand, wurde er vom Kunstmarkt entdeckt. Seine Karriere bis auf Platz 1 der Megapreislisten begann.

Unbedingt erwähnenswert ist die didaktische Aufbereitung durch die NRW Kunstsammlung. Das ein Richter-Katalog keine Mängel hat, ist natürlich selbstverständlich, doch daneben gibt es ein Begleitheft, in dem exemplarisch Informationen und Hintergründe zu vielen Arbeiten und gesammelte Zitate des Wahl-Kölners den Rundgang erleichtern. PETER ORTMANN

Gerhard RichterKunstsammlung NRW (K20)bis 16. Mai 2005 Katalog 29,00 EURO