Im Vorgarten der Ulbrichts

DDR Eine kleine Dauerausstellung im Schloss Schönhausen zeigt das abgeriegelte Leben der frühen DDR-Machthaber in Pankow. Die heutigen Bewohner des Stadtteils hoffen, dass die Schau eine Attraktion wird

„Man erkennt, wie die Führungsschicht ihr Verhältnis zur Bevölkerung suchte und sich in der Öffentlichkeit inszenierte“

JÜRGEN DANYEL, HISTORIKER AM ZENTRUM FÜR ZEITHISTORISCHE FORSCHUNG POTSDAM

VON GUNNAR LEUE

In Pankow gibt es neuerdings eine Dauerausstellung, von der sich der Bezirksbürgermeister Matthias Köhne und der Heimatverein „Für Pankow. e. V.“ viel erhoffen. Nicht zuletzt Touristen. Um die Besucherneugierde zu wecken, hätten sie bei der Eröffnung der eintrittfreien Schau „Die Pankower Machthaber. Der Majakowskiring und das Schloss Schönhausen nach 1945“ große Werbegeschütze auffahren können. Zum Beispiel mit dem Superlativ, die vielleicht kleinste Ausstellung Berlins zu bieten. Sie befindet sich nämlich in zwei winzigen Torhäuschen am Eingang des Schlosses Schönhausen. Oder sie hätten Udo Lindenberg als Stargast einladen und das (oder seine Absage) per Presserklärung verbreiten können.

Abgeschirmte Zone

Die Pankower taten es nicht. Udo ist zwar da, aber nur auf einem Schautafelfoto, unter dem sein Text von „Sonderzug nach Pankow“ steht. Es ist der einzige Berlin-Song, mit dem je ein Ostberliner Stadtbezirk in die Popcharts gebracht wurde. 1983 begehrte Udo so Einlass für eine Tour im Arbeiter-und-Bauern-Staat. Der firmierte in der Bundesrepublik unter dem Synonym Pankow, weil dort die DDR-Regierung lange Zeit residierte. Bundeskanzler Adenauer und ein Teil der westdeutschen Presse sagten gern auch Pankoff, um ihre Verachtung für den sowjetischen Vasallenstaat auszudrücken.

Lindenberg konnte seinen Trip nach drüben trotz (oder wegen) seines lustigen Liedchens vergessen. Was Pankow im lokalen Sinne betraf, so hatte dort allerdings nicht nur Udo Zutrittsverbot. Jedenfalls in der Gegend ums Schloss. Als Wohn- und Lebensort der DDR-Führung war das Areal in Niederschönhausen eine streng abgeschirmte Zone. Eine kleine Enklave, in der sich die Volksregenten vor dem Volk verbarrikadierten.

Deren Errichtung geriet, wenn man so will, zu einer der ersten Maßnahmen bei der Russifizierung des Politikbetriebs in Ostdeutschland nach dem Krieg. Die Bewohner des bürgerlichen Viertels in Niederschönhausen mussten ihre Häuser verlassen, damit dort hohe Offiziere der Roten Armee und aus Moskau zurückkehrende KPD-Funktionäre aus der „Gruppe Ulbricht“ einziehen konnten. Nach sowjetischem Vorbild entstand ein abgeschottetes „Städtchen“ für die oberste Nomenklatura.

Im nur mit Passierschein zugänglichen Quartier am Majakowskiring wohnten von 1949 bis zum Umzug in die noch abgelegenere Waldsiedlung Wandlitz 1961 die Polit-VIPs der DDR: Familie Ulbricht, Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, aber auch prominente Schriftsteller und Künstler wie der Kulturminister Johannes R. Becher, Hans Fallada und der Präsident der Akademie der Künste, Arnold Zweig.

Sonderzug der Geschichte

Das kaum beschädigte Hohenzollernschloss nebenan wurde zum Amtssitz des DDR-Präsidenten Pieck. Hier wurde die erste DDR-Regierung vereidigt, hier wurde repräsentiert und empfangen. Mal Mitgenossen, um zum Beispiel den großen Mauerbau zu bereden, mal „verdiente Werktätige“, um sie zu ehren. Später wurde das barocke Schloss zum Gästehaus der Regierung, was den Pankowern regelmäßiges Spalierstehen an abgesperrten Straßen bei Staatsbesuchen bescherte.

Ab 1989 spielte sich hier auch Wende- und Einheitsgeschichte ab. Im Historischen Saal tagte 1989/90 der Zentrale Runde Tisch mit Vertretern unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppierungen. Nachdem die Mehrheit der DDR-Bevölkerung mit dem Sonderzug der Geschichte dann möglichst schnell raus aus Pankow wollte, fanden hier die Zwei-plus-vier-Gespräche mit den Alliierten über die deutsche Einheit statt.

Trotzdem habe der Name Pankow leider immer noch einen eher negativen Klang, findet der Bezirksbürgermeister und hofft, dass die Ausstellung ein kleiner Baustein werde, das Areal in einen „Attraktionspunkt“ für Touristen und Berliner zu verwandeln. Er sieht genug Anlass, „Pankow in ein besseres Licht zu rücken“.

Jürgen Danyel geht es nicht um die bessere Beleuchtung der Gegend, sondern der Geschichte. Er ist Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und hat die gemeinsame Ausstellung mit dem Museumsverbund Pankow kuratiert. Der Geschichtsforscher kann die positiven Aspekte des lokalpolitisch eher unschönen Pankowbildes nicht genug hervorheben. So gäbe es in Berlin und in Ostdeutschland zwar viele Orte, die an das Unrecht und dessen Zustandekommen in der DDR erinnerten, aber kaum einen, der zeige, wie die Staatsführung im persönlichen Lebensumfeld geprägt worden sei. Die Deformierung der politischen Klasse sei an diesem Ort gut nachvollziehbar. „Man erkennt, wie die Führungsschicht ihr Verhältnis zur Bevölkerung suchte und sich in der Öffentlichkeit inszenierte.“

Die Diskrepanz zwischen proletarischem Habitus und dem Verkriechen in einer privilegiert ausgestatteten bürgerlichen Wohnidylle – in die man sich teils aus Misstrauen und Bedrohungsängsten, teils aus einem gewissen Elitedünkel verzog – hatte im Wendeherbst 1989 viele DDR-Bürger am meisten empört. Aber den voyeuristischen Blick der Wasser-predigen-und-Wein-saufen-Enthüllungsreportagen aus dem Wandlitz-Ghetto versuchen die Ausstellungsmacher ausdrücklich zu vermeiden. Neben den alten Fotos auf den Schautafeln gibt es ein paar Filmbeiträge aus Defa-Schauen zu sehen. Johannes R. Becher lässt sich von Pionieren besuchen und zum Stalin-Friedenspreis gratulieren. Das wirkt einerseits befremdlich, andererseits aber auch ziemlich altbacken und gekünstelt wie eine Werther’s-Echte-Bonbon-Werbung. Überall geht es ums Verkaufen.

Als die Vision von einer besseren Gesellschaft abgelutscht war, entwickelte sich in vielen Ecken der DDR oppositionelles Treiben, auch in Pankow. Unweit des Schlosses gründete sich 1981 der „Pankower Friedenskreis“ um die evangelische Pastorin Ruth Misselwitz. So war Pankow nicht nur ein Ort der Mächtigen, sondern der Bürgerrechtsbewegung gegen die Politik der DDR-Führung, wie die Ausstellung zeigt. Was an ihr auffalle, sagt Historiker Danyel, sei, dass so viele alte Männer auf den Fotos zu sehen sind.

Das haben die DDR-Bürger schon vor gut zwanzig Jahren festgestellt. Eine DDR-Band hat das 1988 sogar besungen – „zu lange die alten Männer verehrt“. Die Zeile, die sich vielen Ostlern ins Gedächtnis prägte, stammt aus dem Song „Langeweile“. Die Band hieß Pankow.

Torhäuser der Schlossanlage Schönhausen, Ossietzkystraße 44/45; Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 18 Uhr, der Eintritt ist frei