Das produktive Nein

Schlaue Fragen reichen nicht mehr aus – Attac muss klare Antworten liefern und machbare Alternativen aufzeigen. Eine Erwiderung auf Hannes Koch und Jens Badura

Die sozialenBewegungenin Deutschlandsind noch in ihren Anfängen

Wer wie Attac Tatsachen und Interessen benennt, darf sich über Gegenwind nicht wundern. Doch die Fortentwicklung zu klaren Positionen ist ohne Alternative, wenn eine Bewegung soziale Kämpfe ernst nimmt.

Eine schwere „innenpolitische Niederlage“ hätten die deutschen Globalisierungskritiker mit ihren Protesten gegen Hartz IV erlitten, konstatierten Hannes Koch und Jens Badura kürzlich an dieser Stelle. Und damit nicht genug: mit ihrer Einmischung in die Innenpolitik hätten die Globalisierungskritiker zugleich aufgehört, Ambivalenzen wahrzunehmen und „schlaue Fragen“ zu stellen, und sich stattdessen auf „straffe Parolen“ beschränkt. Diese Kritik zielt auf das Herz der Bewegung. Denn caminamos preguntando – fragend schreiten wir voran – lautet das zapatistische Motto, das zu einem konstitutiven Moment der Globalisierungskritik wurde.

Doch diese Vorwürfe gehen am Kern der Probleme vorbei, vor denen eine aktionsorientierte Bildungsbewegung wie Attac heute steht. Denn so wichtig die Diskussionen in den offenen Räumen der Sozialforen sind und so wichtig die Analyse von Ambivalenzen auch ist, so zwingend ist es gleichzeitig, daraus Kernpunkte einer Kritik zu entwickeln und diese zuzuspitzen. Veränderungswille erfordert es, klar Stellung zu beziehen. Wenn die Interessengegensätze offensichtlich sind, reicht das von Koch und Badura geforderte Nachfragen nicht aus. Wer dabei stehen bleibt, überlässt denjenigen das Feld, die die Verelendungspolitik organisieren und von ihr profitieren.

Die „ökonomische Alphabetisierung“, die Attac seit fünf Jahren mit Diskussionen, Vorträgen, Sommerakademien und Publikationen vorantreibt, ist schließlich kein Selbstzweck. Das Ziel ist die Befähigung, über Fragestellungen hinauszugehen. Die Hinwendung zu vermeintlich innenpolitischen Themen ergibt sich dabei praktisch von selbst: Wer sich mit der Marktliberalisierungspolitik der WTO auseinander setzt, lehnt auch die Privatisierung lokaler öffentlicher Verkehrsbetriebe ab, weil diese nur eine andere Facette der globalen Enteignungsökonomie vor unserer Haustür ist. Genauso ermöglicht ein genaues Verstehen der Politik der Institutionen des globalen Empire, die selben Phänomene der Verarmung, Enteignung und Entrechtung bei Hartz IV wiederzuentdecken. Hartz IV funktioniert nach der Logik eines Strukturanpassungsprogramms des IWF und ist in diesem Sinne keine innenpolitische Angelegenheit. Und wer in die europäischen Nachbarländer schaut, wird dort eine zum Verwechseln ähnliche Sozialkahlschlagspolitik entdecken. Darum war das Engagement von Attac bei diesem Thema notwendig, auch wenn Teile des linksliberalen Spektrums auf diese Kritik an dem zentralen rot-grünen Projekt dieser Legislaturperiode mit Liebesentzug reagieren.

Die Hartz-Gesetze sind der konkrete Ausdruck dieses globalen Projekts von Verarmung und Enteignung, weil es gerade den Besitz der Ärmsten zur Disposition stellt; von Entrechtung, weil der Verlust des Arbeitsplatzes mit Arbeitszwang und sozialem Abstieg einhergeht; und von verschärfter Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, weil somit eine noch viel stärkere Disziplinierung möglich gemacht wird. Eine Politik, deren Grundrichtung falsch ist, verdient kein ambivalentes „Einerseits – Andererseits“, sondern ein unmissverständliches Ya BastaEs reicht!.

Fehlt hier die Positionierung an der Seite der Betroffenen, dann verspielen soziale Bewegungen ihre Existenzberechtigung. Das klare Nein zu dieser Politik ist kein Zeichen von Strukturkonservativismus, sondern es ist ein produktives Nein, das Räume für Alternativen eröffnet. Diese Alternativen gibt es – ob Grundeinkommen, Arbeitszeitverkürzung, Solidarische Einfachsteuer, echte Bürgerversicherung oder internationale Sozial- und Umweltstandards – doch sie werden von der neoliberalen Einheitspartei im Bundestag und in der öffentlichen Debatte bewusst übersehen.

Was man aber nicht überhören kann, ist der Schrei Es reicht!. Und dieser Schrei ist in Deutschland im vergangenen Jahr so laut gewesen wie seit Jahrzehnten nicht. Massenproteste von Studierenden, die größte Demonstration gegen Sozialabbau in der Nachkriegsgeschichte im April vergangenen Jahres, die spontan entstandenen Montagsdemonstrationen im Sommer und die Aktionen zivilen Ungehorsams hatten eine neue Qualität, die nicht dadurch nichtig ist, dass sie keine schnellen politischen Erfolge verzeichnen konnte. Zwar haben die Parteien die Massenproteste diffamiert und letztendlich aussitzen können, aber es sind neue widerständige Netzwerke entstanden und Protestformen erlernt worden. Aus dem Fehlen schneller Erfolge keine Entmutigung entstehen zu lassen, sondern weiterhin neue Formen des Protests zu entwickeln und zu erproben, ist eine Aufgabe, auf die es keine einfachen Antworten gibt.

Die ökonomische Alphabetisierung,die Attac betreibt,ist schließlich kein Selbstzweck

Denn die sozialen Bewegungen in Deutschland sind noch in ihren Anfängen. Die Idee horizontaler, pluralistischer und transnational agierender Netzwerke hat die Fantasie der Menschen noch nicht so beflügelt wie erhofft. Hierarchische Strukturen wie in den Parteien, Gewerkschaften oder klassischen NGOs sind für viele Menschen weiterhin die einzige vorstellbare Politikform. Anders als in Lateinamerika und Südeuropa fehlen hier die kämpferischen Protestmilieus, die die Grundlage für gesellschaftliche Veränderungen sind. Nach den Vernichtungen vor 1945 konnten in der Bundesrepublik keine neuen Protestmilieus entstehen, die Aufbruchsversuche nach 68 verebbten. Lediglich „Bewegungskerne“ gibt es bisher hier und da. Auch Attac ist ein solcher Embryo.

Die zentrale Herausforderung, um die neoliberale Hegemonie zu brechen, besteht darin, mehr Menschen in Bewegung zu bringen, und zwar grenzüberschreitend. Angesichts der global agierenden Institutionen der Gegenseite wird immer deutlicher, dass der Neoliberalismus nicht auf nationaler Ebene ausgehebelt werden kann, sondern nur in internationaler Zusammenarbeit. Eine grundlegende Richtungsänderung kann heute nur international gedacht werden. Hier ist die globalisierungskritische Bewegung zwar schon vorangekommen, indem sie die Globalität der Anliegen bewusst und erfahrbar gemacht hat; die grenzüberschreitende Handlungsfähigkeit ist aber noch nicht stark genug ausgeprägt. Zum einen laufen die politischen Prozesse in unterschiedlichen Ländern trotz ähnlicher Inhalte nicht synchron, sodass eine gemeinsame Mobilisierung – anders als bei Anlässen wie dem Irakkrieg – nicht ohne Weiteres gelingt. Zum anderen fehlt den VerliererInnen der neoliberalen Globalisierung zum Teil noch immer genau diese internationale Orientierung. Das zu verändern, das Bindeglied zwischen verschiedenen Protestbewegungen zu sein, ist dabei eine wichtige Aufgabe der Globalisierungskritiker. Das erfordert jedoch eine langfristige Perspektive von eher dutzenden von Jahren als nur eines Protestsommers. Fünf Jahre Attac können nur ein Anfang sein. ALEXIS PASSADAKIS
PEDRAM SHAHYAR