Alter Senf, neues Glas

Jahrzehntelang war das Kühne-Senfglas ein Stück deutscher Küchenkultur. Jetzt gibt es ein neues

Mit der Weiterverwendbarkeit von Verpackungen ist es bekanntermaßen nicht weit her. Ganz egal wie aufwändig die Emballage sein mag, nach dem Auspacken landet die Hülle stets im Abfall. Zu den ganz wenigen Ausnahmen gehört das berühmte Senfglas. Seit Jahrzehnten findet man umfangreiche Senfglassammlungen in deutschen Küchenschränken. Ob als Aufbewahrungsort für Kugelschreiber und Krimskrams oder als Trinkglas – das Senfglas ist überall anzutreffen und längst Bestandteil der Alltagskultur. Es ist nicht besonders hübsch, aber keineswegs spießig. Dafür praktisch und robust.

Senf im wieder verwendbaren Universalglas wird von zwei Firmen geliefert, deren Gläser sich zum Verwechseln ähneln. Kleine Unterschiede sind jedoch auch dann noch zu erkennen, wenn das Etikett zwecks Weiterverwendung längst entfernt wurde. Der Senfglasboden des zum Nestlé-Konzern gehörenden Herstellers Thomy ist geriffelt, der Boden der Senfgläser des Hamburger Familienunternehmens Kühne ist glatt. Eins haben die Gläser beider Senffabrikanten gemeinsam: Der Aluminiumdeckel lässt sich mitunter nur öffnen, wenn man ihn sanft mit einem Küchenmesser anlupft.

Nun hat Carl Kühne dem Senf ein neues Glas verpasst. Eins, das eine „zeitgemäße Form“ haben sollte und nicht auf den ersten Blick als Senfglas erkannt wird. Vielleicht gelingt das Ansinnen tatsächlich, denn das leere und vom Etikett befreite Glas mit dem rundlichen Bauch und dem dickem Konkavboden wirkt auf den ersten Blick wie eines jener todschicken Gläser, die im Kaufhaus für relativ viel Geld angeboten werden. Darin könnte die Chefsekretärin in der Besprechungspause gut die Getränke reichen, und niemand käme auf die Idee, dass es sich um ein Senfglas handelt. Ist das das Ende der Senfglas-Kultur?

Benutzbar sind die Kühne-Gläser allemal, man kann nur kein Bier daraus trinken. Aber das war auch schon beim alten Glas Gegenstand hitziger Diskussionen, und sogar der Grillsportverein hat diesem Thema ein eigenes Internetforum gewidmet.

Mit dem neuen Glas kam auch ein neuer Deckel. Der ist nun aus Plastik und lässt sich leichter öffnen als der alte. Man muss nur wissen, wie es geht, sonst wird jeder Versuch zum echten Frickel: einfach das Glas mit beiden Händen umfassen und den Deckel mit beiden Daumen von unten hochdrücken. Beim Wiederverschließen muss der Deckel über den Glaswulst einrasten, was am Klickgeräusch erkennbar ist. Anschließend ist der Senf gut verschlossen, und das Glas kann problemlos am Deckel angefasst und transportiert werden.

Das mit den Daumen muss man wissen – sonst klappt es nicht. DIETER GRÖNLING