exzentriker, verrückte und durchgeknallte oder: aus meiner jugendzeit von FANNY MÜLLER
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Der ältere Herr in Knickerbockern und karierter Mütze kam durch die Tür unserer Rezeption gestolpert und warf einen Fahrradlenker auf den Tresen: „Der Führer, wie ihn keiner kennt!“, rief er munter aus. Also wieder einer unserer verrückten Gäste, die aber offiziell „exzentrisch“ genannt wurden. Es handelte sich um einen sowohl berühmten als auch betuchten Professor, der zwar per Fahrrad nach Sylt gestrampelt war, am nächsten Tag aber einen nigelnagelneuen Porsche kaufte, den er bar bezahlt hatte, wie er mir vertraulich mitteilte. Das Geld hatte er im Lenker versteckt. Nach den ersten drei Monaten meiner Lehrzeit auf Sylt war ich schon so abgebrüht, dass ich kaum noch mit der Wimper zuckte.

Zu Beginn der Sechzigerjahre war „unser“ Hotel die erste Adresse am Platze und mir scheint im Rückblick, dass es auch die erste Adresse für komplett Durchgeknallte war. Jedenfalls für diejenigen, die nicht bereits in einer exklusiven Anstalt untergebracht waren oder eine Privathütte in Kampen besaßen.

Selbstverständlich findet man genauso viel Leute mit einer Meise auch auf Zeltplätzen, aber nicht auf so hohem Niveau. Ein Gast beispielsweise telefonierte jeden Tag eine Stunde lang mit seinem Psychiater in Zürich, weil er seinen Führerschein zum dritten Mal nicht geschafft hatte. Wie ich seinen Ausführungen entnahm, war er endgültig daran gescheitert, dass er einen Lastwagen rechts überholt hatte. Und zwar auf dem Bürgersteig.

Jeden Sommer kam ein belgisches Unternehmer-Ehepaar und erhielt die besten Zimmer und die besten Restaurantplätze. Die Kellner hatten von uns allen die größte, wenn auch eine extrem fokussierte Menschenkenntnis. Betrat ein unbekannter Gast das Lokal, so murmelten sie einander in Sekundenschnelle zu: „Nass!“ Nass heißt „Kein Trinkgeld“. Und sie hatten immer Recht.

Am „Tipp“ haperte es dann bei den Belgiern nicht, aber es war sehr anstrengend, sie zu bedienen. Sie pendelte jedes Gericht aus, was dauerte und oft recht eigenartige Menü-Arrangements zur Folge hatte, während er ein Bierthermometer mit sich führte, mit dem die Temperatur jedes Biers – falls das Pendel eins erlaubt hatte – gemessen wurde. Die Kellner meinten, dass sie ihn auch ausgependelt habe; zumindest aber seinen Kontostand.

Das eigenartige Verhalten der Gäste färbte auch auf das Personal ab. Dass der Küchenchef mit Pfannen warf, wenn er ein wenig in Stress geriet – es handelte sich dazumal um gusseiserne Pfannen – war normal, so was hat unter Küchenchefs Tradition. Man musste sich nur rechtzeitig bücken. Der nächste aber warf frische Eier in den Ventilator, wenn ihm danach war, und ihm war oft danach. Was den Besitzer, „Patron“ genannt, dazu brachte, immer wieder die Eierrechnungen überprüfen zu lassen. Ein weiterer Küchenchef pflegte jedes weibliche Wesen unter 30, das irgendwie in die Küche geraten war – meistens wir Lehrlinge – zu sich zu winken: „Bist du verlobt? Verheiratet? Hast du ’n Kind? – Nein? – Ich hab ’ne Flasche Whisky auf meinem Zimmer. Kannst nachher mal vorbeikommen.“ – „Ja, Chef“, sagten wir höflich, gingen aber nicht hin. Das hatte keinerlei Folgen für uns, und daran sieht man mal, wie verrückt der war …