Putin kann sich Verzicht auf Atomwaffen vorstellen

ABRÜSTUNG Russland erklärt sich zu Atomabrüstung bereit – wenn die USA dies auch tun

MOSKAU taz | Nach einem längeren Gespräch mit Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) in Moskau hat der russische Ministerpräsident Wladimir Putin gestern überraschend erklärt, dass er sich ein Russland ohne Atomwaffen vorstellen könne. Vor dem Treffen mit Putin hatte Steinmeier in einer Rede vor der Akademie der Wissenschaften Russland aufgefordert, zusammen mit den USA weitere Schritte zur nuklearen Abrüstung vorzunehmen. Putin meinte auf die Frage nach einem Atomwaffenverzicht, „natürlich“ könne er sich das vorstellen. „Wozu brauchen wir denn Atomwaffen?“ Mit einem kleinen Seitenhieb auf die USA setzte der Premier nach: „Wenn diejenigen, die die Atombombe erfunden und eingesetzt haben, heute der Ansicht sind, sie könnten auf die Atombombe verzichten, dann würden wir eine solche Entwicklung begrüßen.“

US-Präsident Barack Obama hatte im Mai auf Visite in Prag von der Vision einer zukünftigen atomwaffenfreien Welt gesprochen. Damals reagierte Russland auf die zunächst utopische Absichtserklärung nicht. In Moskau wollte Putin dem nun nicht nachstehen. Moskau wäre in einem schlechten Licht erschienen, wenn sich der Premier auf eine direkte Frage nicht auch zu einer Welt ohne Atomwaffen in ferner Zukunft bekannt hätte. Anfang Juli werden Russlands Präsident Dmitri Medwedjew und US-Präsident Barack Obama in Moskau ohnehin über ein Nachfolgeabkommen des Start-Vertrags verhandeln, der die Reduzierung strategischer Waffen (Start) vorsieht und zum Jahresende ausläuft. Die Vorverhandlungen in Expertengruppen laufen seit einem Monat. Grundsätzlich ist Russland wegen seines veralteten Nuklearwaffenpotenzials, dessen Wartung immense Kosten verursacht, an weiteren Abrüstungsmaßnahmen interessiert. Doch die Nuklearschlagkraft bedeutet aus russischer Sicht mehr als nur eine Sicherheitsgarantie. Das Atomwaffenpotenzial sichert Moskau die Gewissheit, zumindest in diesem Bereich von den USA als gleichwertiger Partner behandelt zu werden. Nach dem Verlust der Supermachtrolle vor zwanzig Jahren stellt die atomare Schlagfähigkeit das letzte Faustpfand dar, das Russland ein exklusives Verhältnis zu den USA garantiert.

Mit den Neuverhandlungen über den Start-Vertrag kommen die USA russischen Wünschen jetzt entgegen. Mit einem zügigen Verhandlungsabschluss bis Jahresende ist allerdings nicht zu rechnen. Es geht Russland um den Status als eine der führenden Weltmächte und erst in zweiter Linie um den Abbau des Bedrohungspotenzials.

KLAUS-HELGE DONATH