Es gibt kein Bier in Neukölln

Die Berliner Kindl-Brauerei steht vor dem Aus. 2006 schließt der Standort in Neukölln. 160 Stellen fallen weg. Die Marke soll nun in der Schultheiss-Brauerei in Hohenschönhausen produziert werden

VON JAN ROSENKRANZ

„Es ist, als ob sie das Rathaus abreißen“, kommentierte Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) die Nachricht, dass die Neuköllner Kindl-Brauerei zum nächsten Jahr den Betrieb einstellt. Die Bierproduktion soll komplett nach Hohenschönhausen verlagert werden, wo die ebenfalls zum Mutterkonzern Dr. Oetker gehörende Schultheiss Brauerei ihr Bier herstellt. Der schrumpfende Biermarkt in ganz Deutschland mache diesen Schritt notwendig, teilte gestern der Chef der Oetker-Biersparte, Ulrich Kallmeyer, in Dortmund mit. Im Rahmen der Zusammenlegung sollen in Berlin 160 von derzeit 700 Stellen wegfallen.

Auf dem Dach der Kindl-Brauerei an der Neuköllner Werbellinstraße wehte die Fahne gestern, am 133. Gründungstag der Firma, dennoch nicht auf halbmast. Kindl-Betriebsratschef Detlef Wolff äußerte sich optimistisch, dass man mit Hilfsmitteln wie Altersteilzeit und Kurzarbeit betriebsbedingte Kündigungen vermeiden könne. Am Nachmittag wurden die Mitarbeiter über die Planungen informiert. Vor den Werkstoren wollten sie sich jedoch nicht zur Schließung äußern.

„Viele von ihnen sind Umzugsgeübte“, sagte der stellvertretende Betriebsratschef Detlef Feldmann. Sie seien erst Anfang letzten Jahres, als die Produktion von Potsdamer Rex Pils nach Neukölln verlagert wurde, hierher gezogen. „Die Mitarbeiter konnten es sich ja ohnehin an zehn Fingern abzählen, dass es so kommt. Jetzt haben sie endlich Gewissheit“, so Wolff.

Die Schließung eines Berliner Standortes war allgemein befürchtet worden. Seit dem Oetker-Konzern nicht mehr nur die Radeberger-Gruppe (Radeberger, Kindl etc.) gehört, sondern mit der Übernahme des Dortmunder Getränkekonzerns Brau und Brunn auch deren Schultheiss-Brauerei (Schultheiss, Berliner Pilsener etc.), gab es die Ankündigung, Betriebe zusammenlegen zu wollen. Mit einer gesamten Jahresproduktion von 16 Millionen Hektolitern, verteilt auf über 40 Marken, ist Oetker seit den Übernahmen der ungekrönte Bierkönig Deutschlands.

Und auf den ist Bürgermeister Buschkowsky inzwischen nicht mehr ganz so gut zu sprechen. Er habe dem Vorstandsvorsitzenden eigens einen Brief geschrieben und ihn gebeten, bei seiner Entscheidung nicht allein Aktienkurse zu berücksichtigen, sondern auch die Bedeutung der Brauerei für Neukölln.

Kindl und Neukölln lebten seit über 130 Jahren in Symbiose, so Buschkowsky. In einer Region mit 40 Prozent Arbeitslosigkeit dürfe man nicht einfach so weiter Stellen abbauen. Auf den Bezirk könnte ein weiteres Problem zukommen: Die Aussicht, bald mitten im Zentrum von Neukölln eine fünf Hektar große Brachfläche ertragen zu müssen. Kurzum: „Die Botschaft ‚Der letzte macht das Licht aus‘ ist psychologisch gesehen für den Bezirk fatal“, sagt Buschkowsky.

Die Geschichte der Kindl-Brauerei reicht zurück bis ins Jahr 1872. Damals gründeten acht Männer auf dem Rollberg die „Vereinsbrauerei Berliner Gastwirthe zu Berlin“. Vor allem in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts war Kindl stetig gewachsen – und hatte sich durch zahlreiche Übernahmen kleinerer Brauereien gesundgestoßen. Diesmal ist Kindl das Opfer.

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