Die Rückkehr der Mustangs

Halbwilde Pferde ziehen wieder über die Heidegebiete der Senne. Sie sorgen dafür, dass sich neue Tierarten ansiedeln können. Tierschützer wollen den Gäulen eine neue Heimat bieten

von TORSTEN SCHÄFER

Die Pferde kehren in die Senne zurück. Sie haben eine lange Geschichte und sind die Mustangs Ostwestfalens: Mitte des 19. Jahrhunderts zog eine große Herde der genügsamen Graser über die ostwestfälische Prärie, die Senne. Zwischen Paderborn und Bielefeld wechseln sich Dünen mit weiten Tälern ab. Kiefernwälder, Feuchtwiesen, und Sandäcker prägen die Landschaft.

Nur einmal im Jahr fingen die lippischen Grafen ihre Pferde zur Zucht ein. Doch das Wildgestüt ging ein; vor dem Zweiten Weltkrieg wurden die letzten Tiere verkauft. Bei privaten Züchtern überlebte Deutschlands älteste Pferderasse, die 1160 erstmals erwähnt wird.

Mittlerweile leben die lippischen Mustangs wieder in der Senne, von der große Teile unter Schutz stehen oder militärisches Sperrgebiet sind. Doch früher zogen bis zu 200 Senner über ein fast 10.000 Hektar großes Gebiet. Heute grasen auf den vier Hektar Versuchsfläche der Biologischen Station Senne zwischen drei und fünf Tiere. Im Herbst kehren sie auf ihre noch kleinere Winterkoppel zurück. „Hier bekommen sie Futter, draußen in der Senne müssen sie sich selbst ernähren“, erklärt Peter Rüther, Leiter der Biostation in Hövelhof.

Seit vier Jahren kämpfen Rüther und sein Team für die Rückkehr der seltenen Senner in ihre alten Weidegründe. Nur noch 42 Exemplare gibt es von ihnen. Neben dem Artenschutz interessiert die Biologen vor allem, wie die halbwilden Pferde die Heidelandschaft gestalten können: Die Forscher stellten fest, dass die Tiere mit ihrem starken Tritt die dünne Grasnarbe der Heidelandschaft aufreißen. Und für Sandbäder scharren sie mit den Hufen größere Flächen frei, auf denen sie sich wälzen. „Durch das Wälzen entstehen Sandflächen, auf denen sich bedrohte Arten ansiedeln“, sagt Rüther.

Auf dem Versuchsgelände hat sich das Vorkommen seltener Tiere und Pflanzen erhöht, die auf Heide- und Sandbiotope festgelegt sind: Wärmeliebende Insekten wie Grabwespen, Sandlaufkäfer, Feldgrille oder Heidegrashüpfer sind nun häufiger zu finden als vor der Pferdebeweidung. Auch die Artenvielfalt der Bienen und Schmetterlinge hat zugenommen. Für den Standort typische Pflanzen wie Heide-Nelke, Bauernsenf oder Zwergfilzkraut haben sich ausgebreitet. Das Heidekraut hat ebenfalls zugenommen. „Die Pferde haben früher die Vegetation der Senne beeinflusst. Auch heute können sie das Entstehen der Heide- und Sandgebiete fördern“, resümiert Rüther.

Große Heidelandschaften zählen zu den seltensten Biotopen in der Bundesrepublik. Um ihr Zuwachsen zu verhindern, halten oft Schafe den Pflanzenteppich kurz. „Pferde sind eine gute Alternative, weil sie nicht nur die Flächen abweiden, sondern neue Lebensräume für bedrohte Arten schaffen“, so Rüther.

Zu vergleichbaren Ergebnissen wie die Senne-Forscher kommen Ökologen im Tennenloher Forst bei Erlangen, wo Przewalksi-Pferde in einer Dünen- und Sandlandschaft auf ihre Auswilderung in Kasachstan vorbereitet werden. Weil durch den Rückgang der Landwirtschaft immer mehr große Flächen brach liegen, kehren vielerorts alte Pferderassen auf die Weiden zurück: Im Merfelder Bruch im Kreis Coesfeld ziehen 250 Dülmener Wildpferde durch eine weite Landschaft. Hier steht der Artenschutz im Vordergrund. Auch anderswo in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg jagen wieder halbwilde Pferde über die Weiden. Senner-Pferde können im Westfälischen Freilichtmuseum in Detmold beobachtet werden.

Die Bundesregierung will in den nächsten Jahren weitere Teile der Senne unter Schutz stellen. „Wir werben dafür, dort Senner einzusetzen“, sagt Rüther. Auch im Nationalpark Senne/Eggegebirge, der immer häufiger diskutiert wird, könnten die Pferde die Landschaft mitgestalten, meint der Biologe. Doch das ist Zukunftsmusik: NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) will zwar aus der Senne einen Nationalpark machen. Dafür müsste aber unter anderem das britische Militär zustimmen, das in der Heide seine Manöver übt. „Die sind noch nicht ganz so offen für die Idee“, sagt Peter Rüther mit leichter Enttäuschung in der Stimme.