Aus der Zeit gefallen

Am 1. Mai in Kreuzberg. Bei Protesten in Gorleben oder gegen die Nato. Meist am Wegesrand, selten mittendrin, steht Hans-Christian Ströbele, der am Sonntag seinen 70. Geburtstag feiert. Für Jüngere erscheint der alte Mann mit dem weißen Haar längst wie ein Politiker von gestern. Doch genau das erklärt vielleicht seinen Erfolg. Ströbele war schon immer da, wo sich irgendetwas links bewegt.

Am 2. Juni 1967 – am Tag, als Benno Ohnesorg erschossen wurde – wurde er Referendar in der Kanzlei des damals linken Anwalts Horst Mahler. In den 70ern war Ströbele einer der RAF-Verteidiger. Er war Mitinitiator der taz und der Alternativen Liste in Berlin. 1985, bei seinem Einzug in den Bundestag, ließ er sich von einem Esel begleiten. Manche halten Esel für dumm. Doch sie sind bloß stur. Sie lassen sich nicht verbiegen.

Dabei ist Ströbele kein Dogmatiker, auch kein Pazifist. In den 80ern brachte er bei der taz-Kampagne „Waffen für El Salvador“ gesammeltes Geld zu den Guerilleros. 2002 stimmte er gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Für die folgende Bundestagswahl bekam er von seiner Partei keinen Listenplatz mehr. Er trat dennoch an und gewann als erster Grüner überhaupt im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein Direktmandat, 2005 gar mit 43,3 Prozent der Erststimmen. Bei den Zweitstimmen kamen die Grünen nur auf die Hälfte. Der Hans-Christian verkörpert das Märchen vom idealen Politiker. Jeder weiß, dass Märchen nicht stimmen. Trotzdem braucht man sie.

In seinem nunmehr dritten Kreuzberger Wahlkampf wünscht ihm die Konkurrenz die „Rente mit 70“. Auch in seiner eigenen Partei wurde versucht, an seinem Sockel zu kratzen. Das Denkmal zu stürzen wagte aber niemand. Ströbele ist aus der Zeit gefallen. Deshalb ist er noch da. Es gibt Menschen, die bleiben müssen. GEREON ASMUTH