berliner szenen Traumpost (4)

Telefonkartenregen

Wir standen in einer russischen Holzhütte in einer langen Schlange an. Wir verkauften den Frauen hinter dem Tisch geflochtene, blonde Zöpfe. Ich hatte auch einen dabei. Die alten Frauen hatten einen seltsamen russischen Akzent. Als ich dran war, wollten sie meine Wartenummer sehen. Ich hatte keine und sollte mich noch einmal hinten anstellen. Ein nettes Mädchen nahm mich zur Seite und bediente mich heimlich, ich musste nur schnell ein russisches Formular unterschreiben: „Ich erkläre mich bereit, die nächsten fünf Jahre in einem Arbeitslager Küchendienst zu machen.“

Als ich mit dem Papier wieder zurück zum Tisch wollte, kam mir ein Menschenstrom entgegen. Ich sah, wie ein Offizier einem anderen die Schulterstücke abriss und im Auto mit ihm verschwand, es war ein Trick, um ihn vor der Revolution zu retten.

Hier und da wurde jemand gehängt. Am Ortsausgang lauerten aggressive Bettler, man kam kaum an ihnen vorbei. Ich gab ihnen nichts, und sie beschwerten sich, den Afrikanern würde ich immer was geben. Als ich sie abgeschüttelt hatte, stand ich in einem grünen Tal. Ich geriet immer tiefer in einen Garten. Durch die Bäume sah ich auf einer Wiese Kinder spielen. Ich wollte mich wieder zurückschleichen, da entdeckten mich die Eltern. Über das Tal glitten lautlos riesige Concorde-Flugzeuge, die aussahen wie auf Pappe gemalt. Plötzlich segelten Telefonkarten vom Himmel. Wir begannen gierig welche aufzusammeln, jeder wollte am meisten haben. Als ich mich umdrehte, stand ein schwarzer Mann hinter mir und wollte mich mit Benzin überkippen. Ich schrie ihn an, dass ich nichts gegen ihn hätte, aber er sagte: „Mich interessiert nicht, was ihr in Bulgarien macht.“ Davon wachte ich auf. JOCHEN SCHMIDT