Mangelnde Sicherheit im AKW

Internationale Atomenergiebehörde bemängelt fehlenden Arbeitsschutz, große Häufigkeit von Unfällen und Ämterhäufung im Atomkraftwerk Philippsburg

FREIBURG taz ■ Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich man einen Prüfbericht lesen kann. Kaum hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA das Sicherheitsmanagement im Atomkraftwerk Philippsburg untersucht, jubelt der Kraftwerksbetreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) über die „sehr gute Anlage“ und deren „gute Instandhaltung“. Eine waghalsige Interpretation.

Ehe die EnBW am Donnerstag ihre eigene Lesart des Berichts der Öffentlichkeit präsentieren konnte, war schon von „deutlicher Kritik“ der Atomenergiebehörde am Sicherheitsmanagement der EnBW zu hören. Denn die Studie führt 16 Beanstandungen auf, die das seit Jahren ruinierte Sicherheitsimage der EnBW erneut beschädigen. So beurteilt die IAEA nicht nur den Ausbildungsstand der Mitarbeiter als unzureichend, sie bemängelt auch den fehlenden Arbeitsschutz in der Anlage, der zu „viel höheren“ Unfallzahlen führe als in der Branche üblich. Es werde ferner in Bereichen des Reaktors geraucht, in denen dies aus Gründen des Brandschutzes strikt verboten sei, und Sicherheitszeichen seien verwirrend angebracht oder fehlten gleich ganz. Eine besondere Spezialität sind in Philippsburg ferner handgeschriebene Anleitungen, auf die das Kontrollteam der Atomenergiebehörde gleich mehrfach stieß.

Selbst die Führungsstruktur des Atommeilers wurde von der IAEA kritisiert: Der Geschäftsführer einer Dachgesellschaft, in der alle fünf Reaktorblöcke der EnBW zusammengefasst sind, ist zugleich Anlagenchef in Philippsburg und Neckarwestheim. Wer diese Jobs angemessen ausfüllen wolle, sei angesichts der Ämterhäufung überfordert, befanden die Gutachter.

Auch das grüne Bundesumweltministerium ist bereits alarmiert: „Weit weniger schmeichelhaft als bislang dargestellt“ seien die jüngsten Ergebnisse. Und es werden Erinnerungen wach an den Herbst 2001, als in Philippsburg derart schwere Mängel offenbar wurden, dass selbst der hartgesottene Atomverfechter Ministerpräsident Erwin Teufel von einem „außerordentlich ernsten Vorgang“ sprach. Denn über Jahre hinweg waren grundlegende Sicherheitsvorschriften verletzt worden. „17 Jahre Pfusch im AKW“ titelte die regionale Presse, und Umweltminister Jürgen Trittin nahm den Block zeitweise vom Netz – wegen „ernsthafter Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers“.

Obwohl es heute mit der Sicherheit in Philippsburg offenkundig noch immer hapert, gibt man sich in der Konzernzentrale in Karlsruhe und auch bei der Aufsicht im Stuttgarter Umweltministerium unbeeindruckt. Die EnBW berichtet per Pressemitteilung stolz davon, dass „Sauberkeit und Housekeeping im Kernkraftwerk Philippsburg bemerkenswert“ seien. Und Landesumweltminister Stefan Mappus betont, die aktuelle Untersuchung habe „keine Mängel festgestellt, bei denen ein sofortiges Handeln notwendig wäre“. Vielmehr habe es nur „Empfehlungen zur mittelfristigen Optimierung der Betriebsführung und der Sicherheitskultur“ gegeben.

Doch das Bundesumweltministerium liest die Studie weniger betriebsblind und weiß daher, dass die Sicherheitsdefizite so harmlos nicht sind: „Jetzt ist die Atomaufsicht des Landes gefordert“, heißt es in Berlin. Und auch die Opposition im Stuttgarter Landtag verlangt endlich Aktivitäten des Ministers Mappus: „Die Untersuchung hat einige Fragen aufgeworfen“, sagt der parlamentarische Berater der Grünen, Franz Untersteller, „die muss das Land jetzt klären.“

BERNWARD JANZING

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