Im Lichte Hollywoods

Der Neue Berliner Kunstverein zeigt „Zeitgenössische Fotokunst aus Kanada“. Dort prägen Künstlerstars wie Jeff Wall oder Stan Douglas die Arbeiten der nachfolgenden Generation

VON HARALD FRICKE

Mehr als jedes andere Medium macht Fotografie den Austausch über nationale Grenzen hinweg möglich. Dadurch läuft sie allerdings auch Gefahr, unabhängig vom Kontext wahrgenommen zu werden, als Zeugnis und objektives Faktum.

Insofern steht die Reihe mit zeitgenössischer Fotokunst aus jeweils unterschiedlichen Ländern, die der NBK seit einem Jahrzehnt betreibt, stets vor dem gleichen Dilemma: Wie macht man die spezifischen Eigenheiten sichtbar? Wie lässt sich in der Einschränkung auf fotografische Bilder ein Kulturkreis erschließen?

Natürlich hat es innerhalb dieser Konzeption schon Ausnahmen gegeben. Als 1997 Fotos aus der Volksrepublik China im NBK gezeigt wurden, kam die Ausstellung einer für damalige Verhältnisse erstaunlichen Öffnung der Blickrichtung gleich – endlich wurde einmal nicht die Sichtweise des Westens auf ein zumal politisch verschlossenes Land wiederholt. Aber eine solche Erfahrung hat in der mittlerweile vor allem über Bilder eng vernetzten Welt eher Seltenheitswert: Wie es in Kanada aussieht, kann man sich durchaus ohne das Zutun von Fotokunst vorstellen.

Dabei sind kanadische Fotografen ohnehin im Kunstbetrieb hoch angesehen. Jeff Wall war mehrmals Gast der documenta; Michael Snow gilt als wichtiger Vertreter der Concept-Art und Stan Douglas hatte als Stipendiat des DAAD eine Retrospektive in Berlin. Deshalb setzt der NBK bei seiner Auswahl in Zusammenarbeit mit der aus Montréal stammenden Kuratorin Marie-Josée Jean vor allem auf die nachfolgenden Generationen: Als Jeff Wall seine Text und Foto kombinierende Serie „Landscape Manual“ 1969 veröffentlichte, waren Carlos und Jason Sanchez, Isabelle Hayeur oder Scott McFarland noch nicht einmal geboren.

Trotzdem fällt es offenbar schwer, sich von den historischen Vorgaben zu lösen. Die Brüder Sanchez haben im Studio minutiös Interieurs nachgebaut, in denen sie vom Nippessammler bis zum Tierpräparator lauter seltsame Zeitgenossen porträtieren. Das hat aufgrund der Hell-dunkel-Effekte einige Faszination, doch die großformatigen Aufnahmen sind bis in Details eine Hommage an Walls Technik des theatralisch in Szene gesetzten Bildraums. Als Kommentar auf die Gentrifizierung in Montréal steht Isabelle Hayeurs graustichiges Hochhaus-Diptychon „Nuit américaine“ wiederum in der Tradition der Arbeiten von Stan Douglas, der vor fünf Jahren ähnliche Recherchen über den städtebaulichen Niedergang in Detroit zusammentrug.

Die Ausstellung geht aber noch weiter und konfrontiert Hayeur sehr direkt mit ihrem Vorbild. Nur eine Stellwand entfernt zeigt Douglas mit „Every Building on 100 West Hastings“ eine Straßenansicht in Cinemascope. Das Foto ist mit allen technischen Raffinessen einer Hollywood-Produktion ausgeleuchtet und schillert in einer magischen Künstlichkeit, obwohl es doch ein kritischer Kommentar auf die Entmietungstaktiken in einem heruntergekommenen Stadtviertel von Vancouver ist.

An Douglas’ Präzision und Ernsthaftigkeit lassen sich die anderen Arbeiten schwerlich messen. Wenn Alain Paiement Zimmer für Zimmer seiner Wohnung aus der Vogelperspektive fotografiert und zu einem Monumentalbild collagiert, dann ist dieser Einblick ins Private auch eine Absage an die schweren Themen urbaner Konflikte. Umgekehrt versucht Emmanuelle Léonard mehr Öffentlichkeit für ihre „Statistical Landscape“-Serie zu gewinnen, indem sie Menschen aus diversen Berufen ihre Wohnungen selbst ablichten lässt und die Bilder verschieden groß an die Wand pinnt. Es ist soziologische Fleißarbeit: Der Maßstab richtet sich nach dem prozentualen Anteil der jeweiligen Berufsgruppe an der gesamten werktätigen Bevölkerung.

Man kann es auch einfacher haben, leichter und weniger diskurswälzerisch. Etwa bei Scott McFarland, der Gärtner in exotischen Parkanlagen bei der Heckenpflege fotografiert hat und damit den Reichtum und die Schönheit der Natur als von Hand gemachtes Paradies ausweist. Am aufregendsten sieht Kanada jedoch auf Louise Noguchis Fotos aus, die die Geburt der Nation mit Hilfe guter alter Cowboy-Mythen ins Spiel bringt. Sie war in einer Western-Stadt unterwegs, in der sich Museum, Themenpark und Entertainment vermischen.

Sehr konsequent hat sich die 1958 in Toronto geborene Noguchi auf die Abenteuer-Action eingelassen und mit der Kamera ein paar Cowboy-Darsteller bei ihrem täglichen Job festgehalten. Rauchschwaden steigen aus Dynamitstangen auf, Türen explodieren, ein angeschossener Stuntman segelt durch die Luft. Je näher Noguchi am Geschehen ist, desto surrealer wirken die Szenerien. Die vergangene Kultur ist längst zum wirklichkeitsfremden Ritual geworden, das nichts über die Geschichte Kanadas aussagt – nur deshalb ist das Zivilisationstheater überhaupt genießbar. Diese Ironie im Umgang mit Identität versteht vermutlich jeder, der schon mal im Kino war. Schließlich laufen Western überall auf der Welt.

Bis 27. Februar; Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128–129. Katalog: 19 €.