Jeden Abend Polonaise

Tunesien gefällig oder lieber Campen in Deutschland? Die Lebenshilfe Bremen bietet seit einem Jahr Reisen für Behinderte an. Mit großem Erfolg. Im Mittelpunkt der intensiv betreuten Reisen steht nicht Therapie, sondern Spaß und Erholung

„Als wir unsere Zimmer im Hotel bekamen, hieß es gleich: Badehose an und ab ins Wasser!“ Wenn Siegfried Kranz von seinen Reisen berichtet, möchte man am liebsten auch gleich Urlaub machen. „Jeden Abend haben wir Polonaise getanzt“, sagt er vergnügt, als er sich seine Reisefotos nochmal ansieht. Zweimal ist der junggebliebene 65-jährige Bremer nun schon nach Tunesien gefahren und hat viele Geschichten zu erzählen.

Siegfried Kranz ist geistig behindert und einer der ersten Teilnehmer von Lebenshilfe TOURS. Die Einrichtung der Lebenshilfe Bremen hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen mit Beeinträchtigungen das Reisen zu ermöglichen. Dabei streben sie an, dass Jede und Jeder mit seinen speziellen Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten an den Reiseangeboten teilnehmen kann. Um diese Herausforderung zu bestehen, wurde ein Netzwerk an Unterstützern aufgebaut. Neben der Kooperation mit anderen Lebenshilfen ist auch die Aktion Mensch an der Finanzierung der Reisen beteiligt.

Die Reisegruppen haben in der Regel eine Größe von sechs Teilnehmern. Dazu kommen die mitreisenden Begleitpersonen. Die Anzahl richtet sich nach dem Unterstützungsbedarf der Teilnehmer. Das kann bis zur Einzelbetreuung gehen. „Im Mittelpunkt der Reise stehen die Bedürfnisse, aber nicht die Schwierigkeiten“, sagt Achim Bünting, Leiter des Reisebüros Lebenshilfe TOURS. „Natürlich ist eine solche Reise eine Anstrengung für die Begleiter“, erläutert Bünting, „doch bisher hat keiner die Herausforderung bereut.“ Im Vordergrund für die Begleiter stünden die Erfahrungen und das Kennenlernen während der Reise. Die ehrenamtlichen Reisebegleiter lernen die Teilnehmer bei einem Hausbesuch kennen und werden im Vorfeld der Reise mit ihnen und den zu erwartenden Schwierigkeiten vertraut gemacht.

Die Bandbreite der angebotenen Reisen ist groß und richtet sich an alle Altersgruppen. Nachdem der Andrang im letzten Jahr überragend hoch war, wurde in diesem Jahr die Palette der Angebote erweitert. Neben längeren Flugreisen nach Tunesien oder in die Türkei werden auch innerdeutsche Reisen, Wanderfahrten und Kurzausflüge angeboten. Sogar Campingurlaub wird von der Lebenshilfe organisiert. „Für jeden ist etwas dabei“, sagt Bünting. Zudem sei es auch möglich, dass eigene Reiseideen von Einzelnen oder ganzen Gruppen umgesetzt würden. Für Bünting stehen die potenziellen Teilnehmer im Vordergrund: „Wir beraten die Kunden bei ihren Wünschen und versuchen einen Weg zu finden, ihren Traum zu ermöglichen – auch wenn die finanziellen Mittel beschränkt sein sollten“.

Ziel der Reisen soll nicht ein therapeutischer Erfolg, sondern jede Menge Spaß und Erholung sein. „Ob auf der Paddeltour oder der Musicalfahrt – neue Kontakte und Freundschaften entstehen doch meistens beim gemeinsamen Reisen“, meint Achim Bünting.

Auch Siegfried Kranz, der in der in der reisefreien Zeit als ehrenamtlicher Briefträger der Lebenshilfe tätig ist, kann das nur bestätigen. Mit Begeisterung erzählt er von seinen Mitreisenden der letzten Tunesienreise: von Udo, den man nie mit den eigenen Zigaretten alleine lassen durfte, weil danach immer die Hälfte fehlte, oder von Dirk, dem er jedes Mal den Weg vom Swimmingpool zur Toilette zeigen musste. „Der integrative Aspekt solcher Reisen ist enorm“, sagt Bünting. Vor allem die Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche seien hier sehr hilfreich.

Seine Begleiter haben Kranz ein Erinnerungsheft zusammengestellt mit einer Reihe von Reisefotos, die ihn mit den anderen Teilnehmern beim Kamelreiten oder Banana-Boot-Fahren zeigen. „Da würde ich sofort wieder hin!“, sagt er. Und vielleicht wird er auch dieses Jahr wieder dabei sein, wenn es in den Süden geht. Gute Reise. Jan Philipp Albrecht

Mehr Infos unter www.lebenshilfe-bremen.de oder ☎ 387 77 26