Robinson lebt hier nicht mehr

Erlebniswelten zwischen Jugendzeltlager und Dschungelcamp: Mit „Nova Porta“ hat die Künstlerin Jana Gunstheimer ein fiktives Unternehmen entworfen, das seine Kundschaft in Bildern und Texten mit exotischen Aussteigerfantasien lockt

VON KRYSTIAN WOZNICKI

Schwarz auf weiß steht es auf der Galeriewand: „Wir trainieren Sie!“ Jana Gunstheimers Ausstellung „Nova Porta“ ist arrangiert wie ein Showroom, indem sich solche Slogans direkt an den Betrachter wenden. „Nova Porta“ öffnet Türen in eine andere Welt: Wer mitmacht, so stellen die Wandtexte der fiktiven Firma in Aussicht, kann seine bürgerliche Identität abstreifen. Kann teilnehmen an einem Experiment, bei dem er selbst Versuchsgegenstand ist und unter täglicher Beobachtung steht.

Schwarzweißbilder zeigen „Nova Porta“-Settings, Versuchssituationen, Filialen. Jana Gunstheimer hat futuristische Baukörper, archaische Gewaltszenen im Freien, unterirdische Verließe und Schächte, maskierte Jugendliche im tropischen Regenwald gemalt. Die Stimmung der Bilder ist mal geheimnisvoll, mal nihilistisch. Die Welt von „Nova Porta“ ist voller Schatten und zahlreicher unbekannter Faktoren; Unwägbarkeiten gehören zum Image des Dienstleisters. Gunstheimers korporative Fiktion stellt Abenteuer in Aussicht.

Die Künstlerin trifft mit ihren Prämissen einen Nerv unserer Zeit. Vergleichbares spielt sich im Reality-Fernsehen ab: „MTV – The Trip“ schickt Menschen in eine Truman-Show des Reisens ohne Geld. Wer Europa am schnellsten ohne einen Pfennig in der Tasche durchquert, hat gewonnen. Andere Formate verpflanzen das Subjekt in den Regenwald, setzen es der Wildnis aus. Die Zahl der Menschenexperimente im Fernsehen hat deutlich zugenommen, Robinson Crusoe ist zum Modellfall für Millionen geworden.

Doch die Figur, die Defoe zu Beginn des 18. Jahrhunderts entworfen hat, ist kein Zivilisationsflüchtling. Sondern ein Held seiner Zeit, der unterschiedliche Entwicklungsstufen hin zum Idol der bürgerlichen Gesellschaft durchläuft. Als Parabel lieferte der Roman Werkzeuge zur Wirklichkeitsoptimierung. Mit den Reality-TV-Formaten verhält es sich nicht anders. Das Überlebenstraining im Ausnahmezustand dient als Spiegel eigener Verhältnisse: In Zeiten von Hartz IV dürfte das Existenzminimum als Überlebensgrundlage nicht wenigen ein Begriff sein.

Auch in den Produktwerbungen der Konzerne nimmt ein ums andere Mal der Traum der anderen Welt Gestalt an. „Bacardi“ und „Timberland“ machen allerdings nur explizit, was andere Marken, die den Rahmen im unmittelbaren Einzugsbereich des Adressaten ansiedeln, implizit verinnerlicht haben. Auch dort existieren Menschen so sorglos wie im Schlaraffenland, sehen richtig gut aus und haben das Richtige an.

Dass die Wirtschaft zum primären Lieferanten von Utopien avanciert ist, mag auf den ersten Blick überraschen und stimmt sicherlich misstrauisch. Intellektuelle stellen dieser Vereinnahmung Alternativen entgegen. Auch Künstler bleiben davon nicht ungerührt. Sie schreiben utopische Projekte fort, reaktivieren Traditionen mit entsprechendem Potenzial. Gunstheimers „Nova Porta“-Projekt lässt sich in diesem Zusammenhang verorten: als künstlerische Analyse, die untersucht, welches Utopie-Repertoire die Wirtschaft im kollektiven Gedächtnis abruft. So erschallt in Gunstheimers Bildern das Echo von „James Bond“, von Zeltlagern der Jugendzeit und Comics wie „Die blauen Panther“.

Wenn die Künstlerin dieses popkulturelle Vokabular mit der Sprache der Wirtschaft verschränkt, findet allerdings nicht nur eine künstlerische Analyse statt. Sondern auch eine Synthese: Gunstheimer stellt den master narratives der Massenkultur eine „Gegensimulation“ (James Der Derian) entgegen, die unsere Wahrnehmung der Welt ändert und uns in Ungewissheit stranden lässt. Ein durchaus instruktives Erlebnis.

Bis 26. 2., Mi.–Fr. 14–18, Sa. 13–16 Uhr, Galerie Heidrun Quinque-Wessels, Reinhardtstraße 29 d