Zwölf Millionen Mitglieder

MOBILISIERUNG Internetkampagnen für den Fortschritt der Menschheit: MoveOn, GetUp, Campact, Avaaz

VON UTE SCHEUB

Am Anfang war Monica Lewinsky. Aus heutiger Sicht wurde die 24-jährige Praktikantin von US-Präsident Bill Clinton zur unfreiwilligen Gründungsmutter des Internet Campaigning. Genervt von der monatelangen Dauerberichterstattung über die Sexaffäre im „Oral Office“, verschickte ein Unternehmerpaar aus dem Silicon Valley im Jahre 1998 eine Onlinepetition mit der Aufforderung, man möge bitte endlich zu den dringenden politischen Fragen des Landes zurückkehren: „Move On to Pressing Issues Facing the Nation!“ In wenigen Tagen unterzeichneten Hunderttausende.

Das war die Geburt von MoveOn. Genauer gesagt, von Drillingen desselben Namens. MoveOn Civic Action und MoveOn Political Action organisieren bis heute Internetkampagnen in den Bereichen Bürgerrechte und Politik. Und MoveOn Peace, initiiert nach dem 11. September 2001 von dem damals erst 21-jährigen Kommunikationstalent Eli Pariser, rief nach einer „zurückhaltenden multilateralen Antwort“ auf die Terroranschläge und wurde von gut einer halben Million Menschen unterzeichnet. Koordiniert von gerade mal einem Dutzend MitarbeiterInnen in Washington, New York und San Francisco, wuchs MoveOn schnell zur wichtigsten, weil mobilisierungsfähigsten Organisation der US-Friedensbewegung heran. Wenn MoveOn per Mail seine AnhängerInnen zu einer Kampagne aufrief, antworteten Hunderttausende. „Eli Pariser hat das größte Adressbuch der Welt!“, hieß es.

Inzwischen hat die Onlineorganisation 3,4 Millionen registrierte Mitglieder und trug entscheidend zum Wahlsieg von Obama bei. Allerdings war es damit vorbei mit der Überparteilichkeit.

Doch immerhin inspirierte sie anderswo Nachahmer: Get up, 2005 in Australien gegründet, organisiert mit seinen mittlerweile gut 325.000 Mitgliedern Kampagnen zur Verhinderung der Klimakatastrophe, zu „ökonomischer Fairness“ im Zeichen der Finanzkrise oder zur Besserstellung der Aborigines. Ungefähr zeitgleich entstand im Umkreis von Attac im norddeutschen Verden Campact. Der Name sagt schon alles: Campaign und Action in einem. Im Bewusstsein, dass sich das politische Instrument von Massenmails an PolitikerInnen schnell abnützt, weil Abgeordnete bei wortgleichen Mails den Löschknopf zu betätigen lernen, lässt sich das zehnköpfige Team immer wieder Neues einfallen: Proteste gegen die Privatisierung der Bahn wurden von einem „Bahnopoly“ begleitet, die Wintertagung des Atomforums wurde von einer Menschenkette umzingelt, und Bundesagrarministerin Ilse Aigner war von den Anti-Gentech-Plakaten in ihrem CSU-Wahlkreis so beeindruckt, dass sie dieses Jahr die Aussaat von Genmais verbot. Ein Riesenerfolg für die gut 120.000 Mitglieder zählende Organisation.

Aber warum sollte man sich in Zeiten der Globalisierung auf nationale Kampagnen beschränken?, dachten sich die Gründer von Avaaz. „Avaaz“ bedeutet „Stimme“ in vielen asiatischen und osteuropäischen Sprachen. Entstanden 2007, wuchs die Organisation binnen Kurzem zum weltweit größten Webcampaigner mit bislang 12 Millionen Beteiligungen heran. Ein kleines Team von AktivistInnen in Rio de Janeiro, Genf, London, New York und Washington betreibt die Website der Initiative in elf (!) Weltsprachen, verschickt Mails zum G-20-Gipfel, zur Lebensmittelkrise, zum Guantánamo-Skandal, zu Konflikten in Gaza, Sri Lanka und Birma, schaltet Zeitungsanzeigen und Videoclips. Eine ihrer letzten Aktionen: Sie drängte die UN-Gesundheitsorganisation WHO zur Untersuchung der „ekelhaften und gefährlichen“ Zustände in der agroindustriellen Großfarm von Smithfield im mexikanischen Veracruz, wo unter tausenden zusammengepferchten armen Schweinen offenbar die Schweinegrippe entstanden ist.

Eine globale Bürgerrechts- und Umweltbewegung ist im Entstehen. Danke, Monica!

www.moveon.org; www.getup.org.au; www.campact.de; www.avaaz.org