Hoch gesteckte Erwartungen, perplexe AktivistInnen

Die lateinamerikanische Linke hat dazugelernt: Weniger globalisierungskritische Prominenz, dafür mehr inhaltliche Querverbindungen sollen die Veranstaltungen prägen

PORTO ALEGRE taz ■ Das Weltsozialforum, sagt Emílio Taddei, muss endlich zu einer Instanz werden, die Alternativen zum derzeitigen „hegemonialen Politikmodell“ aufzeigt und „sie vor allem auch durchsetzen hilft“. Andernfalls, so der argentinische Soziologe, wird die Weltbürgerbewegung einen „hohen Preis“ zahlen.

Mit solch hoch gesteckten Erwartungen überfrachte man den sechstägigen Megaevent, sind sich hingegen die brasilianischen OrganisatorInnen einig. Um eine inhaltliche Bündelung, aber auch den Kontakt zum „Volk“ zu erleichtern, haben sie alle Veranstaltungen in einem vier Kilometer langen Streifen am Ufer des Guaíba-Sees angesetzt, in umgebauten Hafenanlagen, unter weißen Plastikzeltdächern. Acht Bauten aus Bambus- und Eukalyptusstämmen, Strohballen und Autoreifen, die Landlose und Soldaten in einer ungewöhnlichen Partnerschaft aufgestellt haben, bilden eine markante Ausnahme.

Mehr Recycling als bei früheren Veranstaltungen, der überwiegende Konsum von Lebensmitteln aus der „solidarischen Wirtschaft“, eine „Währung“ mit dem indigenen Namen Txai und der ausschließliche Einsatz von Linux auf den Forumscomputern sollen signalisieren: Die „andere Welt“ zu leben fängt bei jedem Einzelnen an, Monopole von Konzernen sind kein Naturgesetz. Das Kernanliegen des Forums, die Vernetzung und eine daraus resultierende „Annäherung der Aktionen“, werde durch die diesjährige Veranstaltungsstruktur erleichtert, ist sich Mitorganisator Antonio Martins sicher: „Das Forum wird übersichtlicher, aber auch dichter.“ Aus Bombay 2004 brachte man die Erkenntnis mit, dass es weniger auf große Namen ankommt als auf sinnvolle Querverbindungen zwischen den AktivistInnen.

Ist die brasilianische Linke durch das Forum „weniger provinziell“ geworden, wie Martins vor vier Jahren hoffte? „Ja und nein: Der Kampf gegen die Wasserprivatisierung oder die Freihandelszone FTAA haben nicht zuletzt durch das Forum eine ganz neue Dynamik bekommen.“ Andererseits seien viele Linke angesichts der neoliberalen Politik der Regierung Lula immer noch „perplex“.

Dabei ist Lulas Unfähigkeit, neue Wege einzuschlagen, alles andere als ein brasilianisches Spezifikum – darauf wies der in Mexiko wohnende Ire John Holloway erst kürzlich auf dem „Nordost-Forum“ in Recife hin. Der von deutschen Attac-Anhängern, aber auch in Lateinamerika geschätzte Zapatista-Theoretiker stellt seine Thesen gegen die Staatsfixierung der Linken auch jetzt in Porto Alegre zur Diskussion.

Zwei Großveranstaltungen finden außerhalb des „Weltsozialterritoriums“ statt: In einer Sporthalle will Lula für sein globales Antihungerprojekt werben und über seine zweijährige Regierungszeit Rechenschaft ablegen. Proteste dürften nicht ausbleiben. Anders bei Hugo Chávez, der jetzt bei vielen Lateinamerikanern als größter Hoffnungsträger gilt: Vor seinem Großauftritt besucht der venezolanische Staatschef eine Kooperative der Landlosenbewegung MST.

Im Vorfeld konkret wurde Leonardo Boff, der am Samstag auf dem „Weltforum für Theologie und Befreiung“ auftrat. Ähnlich wie vor Jahresfrist Arundhati Roy, regte der Befreiungstheologe an, man solle sich auf eine oder zwei weltweite Mobilisierungen verständigen. Seine Vorschläge: gegen die Wassermultis oder Kriege. GERHARD DILGER