An der unsichtbaren Grenze zum Außen

TANZTHEATER Minimalistisch und subjektiv: „The Geometry of Separation“ von Riki von Falken und Mareike Engelhardt im Radialsystem

Dieser Körper hält an sich. Sie macht sich schmal, nimmt die kurzen, geraden Wege, hält die Arme eng an den Rippen. So betritt Riki von Falken in „The Geometry of Separation“ das Bild, mit einer zusammengeschnürten, dichtgepressten Energie. Um dann mit spitzen und kurzen Bewegungen, klar und aufgeräumt, ökonomisch und präzise, ihre Position zu behaupten. Hände schnellen vor und nehmen sich zurück, Arme stoßen hoch und sinken herab, kreuzen sich gerade vor dem Körper. Der Saum des blauen Rocks dehnt sich, wenn sie sich mit einem weiten Schritt schräg in die Kurve legt und zu einer Figur aus Rechtecken und anderen Parallelogrammen wird.

Nicht nur der Titel, den Riki von Falken und die Filmkünstlerin Mareike Engelhardt ihrem gemeinsamen Stück „The Geometry of Separation“ gaben, betont die Bedeutung der Geometrie für die Komposition der Bewegung im Raum. Die Aufteilung der Flächen, das Denken in grafischen Linien, das Raumbilden zwischen den Elementen, es steckt in jedem Detail der Bewegungen auf der Bühne und im Film, im Bühnenbild und in den Projektionsflächen. Die werden aus Quadern gebildet, die von der Tänzerin umgebaut werden können. Die geschlossene Bildfläche bricht damit auf zu einer mehrdimensionalen Collage. Diese Fragmentierung potenziert, was in den Filmbildern geschieht. In ihnen tritt eine zweite, jüngere Frau auf, in ihrer eigenen Wohnung. Sie steht morgens auf und findet sich in keinem ihrer Kleidungsstücke zu Hause. Sie betastet ihr Geschirr, als müssten die Dinge des Alltags ihr zu erkennen geben, wer sie eigentlich ist. Aus winzigen, alltäglichen Bewegungen macht der Film von Mareike Engelhardt mit vielen Schnitten und Großaufnahmen eine dramatische, emotional aufgeladene Situation, die sich zur Verzweiflung und Ausweglosigkeit steigert. Die Unruhe der jungen Frau (Friederike Plafki) korrespondiert mit der Unruhe der Tänzerin auf der Bühne. Sie könnten die Verkörperung einer Figur zu unterschiedlichen Zeiten sein. Beide sind an unsichtbare Grenzen gekommen. Was sie verbindet, ist das Gefühl, von ihrer Umgebung abgeschnitten zu sein.

Eine Klanglandschaft aus Geräuschen und minimalistischen Instrumentalstrecken steigert das Gefühl der Spannung, die sich in diesem Solo mehr und mehr aufbaut. In keiner der beiden Welten der Bühne und der Wohnung, dem öffentlichen und dem privaten Raum, kann die Frage nach der eigenen Identität schließlich allein entschieden werden. So ist „The Geometry of Separation“ zwar wieder, wie die vorhergehenden Stücke von Falkens, aus einer biografischen Skizze entstanden. Das Thema aber, die Fremdheit im eigenen Leben, das Zurückgeworfenwerden auf sich selbst, ist mehr als eine Nabelschau: Es betrifft jede Identität, die nicht in einem marktkonformen Zuschnitt aufgeht. KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Radialsystem, 30. 5.– 1. 6., 20 Uhr