Madrid droht im Feinstaub zu ersticken

Die spanische Hauptstadt braucht keine Industrie, um die neuen europäischen Grenzwerte für Dieselruß- und Staubpartikel zu überschreiten. Der Verkehr reicht. Trotzdem soll er weiter ausgebaut werden

MADRID taz ■ Madrid trägt eine Boina, eine Baskenmütze, sagen die Einwohner der spanischen Hauptstadt, wenn sie über die gelbgraue Dunstglocke reden, die ständig über der Drei-Millionen-Metropole hängt. Derzeit ist die Luftverschmutzung besonders groß. Es hat seit Mitte Dezember nicht mehr geregnet, und Tag für Tag schlagen die Messstationen Alarm. Der Feinstaub in der Luft liegt weit über den Grenzwerten, die die Europäische Union vorgibt. Am schlimmsten war es am 13. Januar. Statt der erlaubten 50 Mikrogramm pro Kubikmeter wurden im gesamten Stadtgebiet 98 Mikrogramm gemessen.

„Es handelt sich ganz klar um eine dauerhafte, strukturell bedingte Luftverschmutzung“, so die Umweltschutzorganisation Ecologistas en Acción. Dabei gibt es in und um die spanische Hauptstadt kaum Industrie. Schuld ist der Straßenverkehr, zeigt eine Langzeitstudie der Umweltschützer.

Seit vier Jahren liegt Madrid sowohl beim Feinstaub als auch beim Stickstoffdioxid-Anteil in der Luft weit über der EU-Norm, nach der die Grenzwerte nicht mehr als 35 Tage im Jahr überschritten werden dürfen. 2004 lag das gesamte Stadtgebiet 47-mal über dem Feinstaub-Grenzwert, manche Distrikte schlugen die Barriere über 100-mal. Beim Stickstoffdioxid ist es nicht besser. Hier liegt der Grenzwert bei 52 Mikrogramm pro Kubikmeter, der jährliche Durchschnittswert in Madrid aber bei 61 Mikrogramm. Der Preis ist hoch: „Wenn es gelänge, die Belastung durch Feinstaub um fünf Prozent zu senken, könnten 526 Todesfälle im Jahr vermieden werden“, so Ecologistas en Acción.

„Tödliche Atmosphäre für die Olympischen Spiele“, titelte die Tageszeitung El Mundo in ihrem Madrider Lokalteil und erinnert die Stadtverwaltung daran, dass mit diesen Umweltbedingungen nur schwerlich der Zuschlag für die Olympischen Spiele 2012 zu erhalten sei. Im Rathaus will man so wenig wie möglich über das Thema reden. „Wir arbeiten daran“, heißt es in der Pressestelle der Umweltabteilung. Der Umweltbürgermeister selbst geht gar nicht erst ans Telefon. In der Regionalregierung für den Großraum Madrid mit seinen 6 Millionen Einwohnern sieht es nicht anders aus.

1979 und 1981 waren die einzigen Jahre, in denen der Verkehr wegen der Luft eingeschränkt wurde. Seither hat sich der Fuhrpark der Region mehr als vervierfacht, und immer neue Tunnel wurden gebaut, um die Blechlawine schneller zu machen. Täglich pendeln eine Million Fahrzeuge ins Stadtzentrum. 65 Prozent davon haben einen Dieselmotor – neben der Industrie der wesentliche Verursacher von Feinstaub.

Auch die weiteren Pläne lassen keine Wende in der Verkehrspolitik erkennen. Die Stadtautobahn wird erweitert, um täglich zusätzliche 250.000 Autos aufzunehmen. Und rund um die Hauptstadt soll das Schnellstraßennetz ausgebaut werden. Dabei ist der Ballungsraum Madrid mit mehr als 1.000 Kilometern schon heute Spitzenreiter bei den vier- und mehrspurigen Straßen in Europa.

„Bevor wir ein Fahrverbot verhängen, müssten wir die Bevölkerung auffordern, bestimmte sportliche Aktivitäten im Freien zu unterlassen. Und noch nicht einmal das war bisher nötig“, erklärte Oberbürgermeister Alberto Ruiz Gallardón gestern. Dann können die Sportler der Welt ja kommen. REINER WANDLER