Sie fallen wie die Fliegen

„Ode an die Freude“ am Schauspielhaus: Ingrid Lausund entblößt die verheuchelte Brüderlichkeitder aktuellen Konsumgesellschaft, die auch ihr politisches Bewusstsein nur noch spielt

von Karin Liebe

Die Freude ist ein launisch Ding. Gerade noch hat sich Sarah Masuch über ihre neue Schminke gefreut, da fällt ihr ein, dass für die sechs Euro eine arme indische Familie mindestens... Auch der Gedanke an ihr Pradablüschen bringt ihr Gesicht nur für ein Sekündchen zum Leuchten. Die Freude am Konsum ist eben besonders unstet. Sie bleibt an der Oberfläche und dringt nicht zum Herzen vor, in dem tief drinnen der Wunsch nach Brüderlichkeit wohnt.

Bei einem Abend, der sich Friedrich Schillers Gedicht Ode an die Freude in der Vertonung Ludwig van Beethovens widmet, gehören Themen wie revolutionärer Aufbruch und Brüderlichkeit dazu. Und in Ingrid Lausunds gleichnamiger Szenenfolge, die jetzt am Schauspielhaus Premiere hatte, ist auch komische Verzweiflung dabei. Mit ihrem fünften Stück für das Schauspielhaus setzt Lausund konsequent ihre gesellschaftskritischen Texte fort. Ihre Kapitalismuskritik fiel bisher zwar nicht so scharf und sprachgewaltig wie bei René Pollesch aus, dafür glänzte sie umso mehr mit Witz und Slapstick.

In Ode an die Freude sind die Lachnummern dagegen eher dünn gesät. Dafür gibt es umso mehr bitterböse Szenen – und anfangs leider auch einige Längen: Es dauert, bis acht Menschen nacheinander die Bühne betreten haben. Die lässt mit fahlgelben Ziehharmonikawänden an den Seiten, mit Blumenstrauß und Flügel einen biederen Galaabend erwarten. Dazu passen die unvorteilhaft gerafften Abendkleider, Pagenkopfperücken und gebleichten Haarungetüme der Chormitglieder. Auf die Ankündigung der Pagenköpfigen (Anne Weber), es folge nun die vertonte Ode an die Freude, folgt langes Schweigen. Betretene Gesichter, Auf- und Zuklappen der Notenbücher. Ganz offenkundig fehlt der Dirigent. Er wird den ganzen Abend lang nicht auftauchen.

Dann müssen die Sänger eben alles selbst in die Hand nehmen. Nach anfänglichem Katzengejammer, bei dem alle einander des Falschsingens bezichtigen, was schließlich zur Prügelei führt, übernimmt Bernd Moss den Dirigentenstab. Wie Marionetten bewegen sich dann die Sänger auf sein Einsatzzeichen hin. Bis die eine strauchelt und von der Bühne fällt. Ungerührt wirft ihr ein Mitsänger die Notenblätter hinterher.

Von der Bühne fallen dann alle mehrmals, manchmal mit Wonne, manchmal unbeabsichtigt. Sie treten damit aus der Gemeinschaft – und die weint ihnen keine Träne nach. Eine bitterböse Szene, wie Regina Stötzel in den Orchestergraben fällt und nach Hilfe schreit. Die anderen werfen ihr als Antwort den Blumenstrauß hinterher, als läge sie bereits im offenen Grab.

Noch radikaler als in ihren früheren Stücken zeigt Lausund hier die Vereinzelung der Menschen – und das Scheitern aller Versuche, dagegen anzugehen. Mitmenschlichkeit außerhalb der eigenen Familien- und Freundesbande scheint aussichtslos. Das zeigt auch der Schlusstext über eine Party mit dem Motto „Revolutionäre“. Die Che Guevaras sind hier im Dutzend vertreten – weil der so gut aussah. Und als wirklich eine die Partylaune stört, weil sie Geld für minderjährige rumänische Prostituierte sammeln will, schlägt ihr geballte Verachtung entgegen. Kein Che, kein Gandhi im weißen Laken setzt sich für die Entrechteten und Unterdrückten ein, nur die dicke Monika – und die ist eine Lachfigur.

nächste Vorstellungen: 27.+29.1., 20 Uhr, Schauspielhaus