Stahlwerk zum Shoppen

Gestern wurde die Hattinger Henrichshütte gesprengt

Gestern um 10 Uhr endeten 150 Jahre Industriegeschichte in Hattingen: Das Stahlwerk der ehemaligen Thyssen Henrichshütte wurde gesprengt, innerhalb von Sekunden brach der 60 Meter hohe Industriebau zusammen. 2.000 ZuschauerInnen verfolgten den Zusammenbruch des Industrieriesen, des ältesten Hochofens im Ruhrgebiet. Innerhalb von zwei Sekunden kippte der Turm zu Boden.

Zu ihren besten Zeiten arbeiteten in dem Eisenhüttenwerk 10.000 Menschen. Als Anfang der 1980er die Schließung beschlossen wurde, kam es zu riesigen Demonstrationen der ArbeiterInnen und Familien in der Revierstadt. Es half nichts, 1987 wurde der Hochofen 3 ausgeblasen, zwei Jahre später wurde die Hütte geschlossen. Die Stadt im südlichen Ruhrgebiet verlor ihren größten Arbeitgeber.

Das Eisenhüttenwerk durchlebt ein typisches Schicksal der Industriegiganten im Ruhrgebiet: Ein Teil wurde direkt abgerissen, ein weiterer dient jetzt als Industriemuseum. TouristInnen können auf der Route der Industriekultur einen Abstecher zum Werk machen und dort thematischen Routen folgen. Ähnlich geht es den Industrieruinen des Landschaftsparks Nord in Duisburg und der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen, die heute beliebte Ausflugsziele sind. Der größte Teil der Henrichshütte wird aber kommerziell: Die Stadt will auf dem Gelände Gewerbe ansiedeln. Große Mieter haben sich bisher aber auch nicht finden können, diese gehen der Stadt ja schon im Zentrum aus.

Für DenkmalschützerInnen ist der Abbruch ein rotes Tuch: Eigentlich steht die Stahlkonstruktion aus dem vorletzten Jahrhundert unter Denkmalschutz. Das zu konservieren ist aber teuer und sorgt im Gegensatz zu Einkaufsgeschäften weder für Miete noch Steuern. Das brachte Städtebau- und Kulturminister Michael Vesper (Grüne) zu einem bemerkenswerten Euphemismus: Die geschützte Henrichshütte solle nicht abgerissen, sondern „dekonstruiert“ werden. Für das so genannte „Rückbaukunstwerk“ wurde das niederländische Architekturbüro OMA unter der Leitung von Rem Koolhaas verpflichtet, einen „Dekonstruktionsplan“ zu entwickeln. OMA hatte schon den Masterplan für die Essener Zeche Zollverein entwickelt. Die Umwandlung des 86 Hektar großen Geländes solle als ein „kultureller Prozess“ zu verstehen sein, sagte Vesper vor zwei Jahren. So konnten BürgerInnen in den vergangene Monaten das Stahlwerk besichtigen. Seit dem vergangenen Frühjahr werden die Werksanlagen stückweise von Baggern abgerissen. Erhalten bleiben nur Bruchstücke des Denkmals: Ein paar Ausstattungsstücke und Maschinen sind in die Sammlung des benachbarten Westfälischen Industriemuseums übergegangen. ANNIKA JOERES