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: George W. Bush spricht und handelt in der Tradition seiner Vorgänger

Den Deutschen ist der Gedanke fremd, anderen Völkern Heil bringen zu wollen. Es gehört jedoch zum Charakter Amerikas, Freiheit und Demokratie verbreiten zu wollen. Dadurch haben sie auch einst Deutschen und Europäern einen Dienst erwiesen. Gottlob haben sie damals einen anderen Charakterzug, ihren Isolationalismus, aufgegeben. Seither haben demokratische und republikanische Präsidenten mit militärischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Mitteln manche autoritäre Regime zurückgedrängt oder eingedämmt, andere am Leben erhalten, da sie den eigenen strategischen Zielen besser dienten. Sie haben dabei die Ideale Amerikas verraten, siehe Vietnam und Irak, und übereifrig durchzusetzen versucht, siehe Somalia.

Die Welt freier, gerechter und demokratischer machen zu wollen – dies war das überragende Thema von Bushs Antrittsrede. Europa zuckt zusammen, schon sieht es den nächsten Feldzug am Horizont, so sehr sind diese Ideen mittlerweile dank der Bush-Doktrin kriegerisch besetzt. Man hört Säbelrasseln unter dem Mantel des Missionars, sieht den Wolf im Schafspelz.

Der von Bush verkündete Idealismus liegt jedoch ganz in der Tradition von Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt. Man konnte fast jeden Satz seiner Rede unterschreiben. Wer ist nicht gegen den Sturz von Tyrannen, für die Achtung von Menschenrechten und den Sieg der Demokratie? Nur weil diese Sätze aus Bushs Mund kommen, sind sie nicht falsch. Denn im Grunde stellen sie urdemokratische, auch sozialdemokratische Ideen dar, die ebenso von JFK und Bill Clinton vertreten wurden.

Das Problem: Die Bush-Regierung ist Meister in Lippenbekenntnissen. Sie hat den noblen Zweck durch ihre Mittel auf lange Sicht diskreditiert. Sie missachtet die eigenen Standards. Sie wird im Nahen Osten nicht dafür gehasst, dass sie für freie Wahlen und Frauenrechte eintritt, sondern weil sie weiterhin ihrer Doppelstrategie folgt: Autokratische Regime in Ägypten, Usbekistan, Pakistan und Saudi-Arabien werden gepriesen, weil sie Amerikas Interessen nützen. Mit Freiheit gesegnet werden sollen nur Länder, die im geostrategischen Fadenkreuz liegen – wie Irak und Iran.

Die Kriegsgegner und Menschenrechtler sollten George W. Bush jetzt beim Wort nehmen. Vor allem seine sehr überraschende Einsicht, dass die Verbreitung von Freiheit „nicht primär eine militärische Angelegenheit“ ist. MICHAEL STRECK

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