Mit viel Muße und Fett

Laut Ernährungsbericht nehmen die Deutschen sich mehr Zeit beim Essen. Gesund ernähren tun sie sich aber noch lange nicht. Es fehlt an Obst, Gemüse – und Sport

Die Deutschen nehmen sich mehr Zeit zum Essen als in der vermeintlich guten alten Zeit. Rund 21 Minuten stehen durchschnittlich mehr zur Verfügung als noch vor zehn Jahren. Rund eine Stunde und 45 Minuten verwenden die Bundesbürger für das Essen, davon entfallen knapp anderthalb Stunden auf Mahlzeiten zu Hause, die restliche Viertelstunde wird für den Außer-Haus-Verzehr verwandt. Wie wichtig es den Deutschen ist, ausreichend Zeit für Mahlzeiten zu haben, zeigt sich besonders an den Wochenenden: Hier werden noch mal 24 Minuten mehr am Tisch verbracht. Das sind unter anderem die Ergebnisse des Ernährungsberichts der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die der Verein Ende letzten Jahres präsentierte.

„Das Essen hat nach wie vor einen hohen sozialen und kommunikativen Stellenwert“, heißt es im Ernährungsbericht der DGE, der alle vier Jahre die Ernährungssituation der Teutonen unter die Lupe nimmt. Vor allem in Familien und Mehrpersonenhaushalten wird dem Abendessen als Treffpunkt eine große Bedeutung beigemessen.

Das Zepter für die Ernährungsversorgung haben weiterhin die Frauen in der Hand: Sie wenden dafür im Durchschnitt eine Stunde und sechs Minuten pro Tag auf, wobei rund 20 Minuten für Tischdecken und Abwasch benötigt werden. Im Geschlechtervergleich zeigt sich, dass sich Männer 20 Minuten und Frauen 22 Minuten mehr Zeit zum Essen nehmen als noch vor zehn Jahren. Unterschiede gibt es auch zwischen Ost und West: Während in den ostdeutschen Ländern mehr Fleisch, Wurstwaren und Fleischerzeugnisse gegessen werden, liegen die westdeutschen Bundesländer bei Käse, Quark und Schokolade vorn.

Immer eindeutiger wird der Trend zur Außer-Haus-Verpflegung. Ob Kantine, Mensa, Restaurant oder Imbiss um die Ecke: Rund ein Viertel der Bevölkerung isst mindestens einmal täglich außer Haus, das sind 8 Prozent mehr als vor 10 Jahren. Spitzenreiter im Außer-Haus-Verzehr sind die 20- bis 25-Jährigen, berufstätige Singles und allein stehende männliche Rentner. Die alten Herren haben vielleicht zu wenig praktische Erfahrung in der Küche sammeln können: Denn für fast die Hälfte der männlichen Bevölkerung in Deutschland ist die Zubereitung von Essen oder das Tischdecken fremdes Terrain, das sie lieber den Frauen überlassen.

Auch wenn die Muße beim Essen offensichtlich zugenommen hat, essen die Deutschen noch immer deutlich zu viel Fett und Alkohol, aber viel zu wenig Obst und Gemüse, und sie treiben zu wenig Sport. „Zu viel, zu süß und zu fett“, beklagt Ernährungsministerin Renate Künast. Um die gesundheitliche Aufklärung via Fernsehen zu verbessern, will die Ministerin das Gespräch sogar mit den Intendanten der Fernsehanstalten suchen.

Vielleicht werden wir dann demnächst Zeuge, wie sich der pensionierte WDR-Kommissar Horst Schimanski statt einer fettigen Currywurst mit Pommes einen Apfel ins Gesicht schiebt und dabei lächelnd ein Glas Buttermilch vertilgt. Damit wäre er gut gerüstet für eine Wallfahrt nach Lourdes, bei der er Abbitte für seinen übermäßigen Bier- und Currywurstkonsum in der Vergangenheit leisten könnte.

VOLKER ENGELS

Der 488 Seiten starke Ernährungsbericht 2004 kann für 24 € bestellt werden beim DGE-Medienservice, Bornheimer Str. 33b, 53111 Bonn, Tel. (02 28) 9 09 26 26