Fliegen Sie mit!

Als Motten durchs Museum hotten: Die Kunsthalle ermöglicht mit Lili Fischers „Werkgruppe Falter“ nähere Bekanntschaft oder gar Identifikation mit einem unterschätzten Mitbewohner §

„Man läuft ja meist als Raupe durch den Alltag. Da ist es schön, wenn man mal die Flügel ausbreiten kann.“ So wie Lili Fischer, die in wehendem Mottenkostüm durch die Kunsthalle eilt. Wer gewohnt ist, die oft nur daumennagelgroßen Tierchen genervt von der Schreibtischlampe wegzuscheuchen oder sie gar auf dem Deckenfluter verdampfen zu lassen, dem bietet Fischers Ausstellung jetzt die Chance auf nähere Bekanntschaft mit der Nachtfaltergattung.

Die Documenta 8-Teilnehmerin ist – nach Marina Abramovics Weggang aus Braunschweig – Deutschlands letzte Perfomance-Professorin und die vermutlich weltweit einzige Mottenforscherin. Im Kupferstichkabinett sind nun die Utensilien aus dem Alltag dieser an Münsteraner Kunstakademie betriebenen Wissenschaft zu sehen. Besonders wichtig: das Lupensortiment. Gleich daneben die Arbeit der Mottenmalerin – man lernt: So ein Mottengesicht besteht vornehmlich aus Augen und Rüssel, was die Falterporträts auf schwarzem Grund umso eindrücklicher macht.

Fischer beschreibt ihre Methode als „Feldforschung“ mit künstlerischen Mitteln. Konsequenterweise verfasst sie auch Drehbücher, die die Entwicklung der Larve über die Raupe zum Jungtier beschreiben.

Nach der Metamorphose dann die Makroskopie: In der zweigeschossigen Haupthalle des Museums hängen die prächtigen Tiere in Großformat, gefertigt aus Vlies und mehrfach geschichteten Japanpapieren: Die weiße Gespenstermotte, die Zacken- und Achateule, ganz zu schweigen von den Südtiroler Gattungsschwestern, die kirchlichen Prunkornaten alle Ehre machen würden. Mit ihren dreieckigen Form entfalten sie einen beachtlichen Drive nach oben – die Vergrößerung erweist sich als wirkungsvoller Kunstgriff.

Knapp über dem Boden kriechen die dazugehörigen Raupen. Ein dritter Raum für die filmische Umsetzungen des Mottenthemas fehlt leider. Dafür gibt es ein Mitmachprogramm à la Fischer: Nach einer Art angeleiteten Raupenmeditation soll man sich selbst in eine Motte verwandeln („Selbst-Beflügelung“), wofür Kostüme in den Größen M, L und XL bereit hängen. Bei Fischer selbst, der man die Ballettausbildung anmerkt, entsteht dann übrigens kein hektisches Flattern, eher ein erhabenes Gleiten.

Schließlich begreift sie Falter als beseelte Wesen, gar als Inkarnationen Verstorbener, was in frühromantischen Vorstellungen wurzelt und auch als antikes Motiv bekannt ist.

Bei aller Identifikation: Fischer ist keineswegs auf das Markenzeichen Motte zu reduzieren. In Rattenkostümen ließ sie Kinder als „Museumsmeute“ etwa durchs Aachener Forum Ludwig toben („die schnuppern dann an dieser langweiligen Minimal Art herum“), Politiker bewerfen sich in ihren Mitmachperformances mit Grassoden. Insofern ist das Bremer „Mottentheater“ noch eine eher harmlose Variante von Fischers ansteckender Experimentierlust. Henning Bleyl