Reibungsgewinne

Die Porträt-Reihe „Lebensläufe“ (SWR, 22.30 Uhr) ist nicht nur sehens-, sondern auch hörenswert. Die erste Folge ist Hannah Arendt gewidmet

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Als die Bilder gerade laufen gelernt hatten, hat der Münchner Spediteurssohn Valentin Ludwig Fey einen morbiden Film gedreht: einen oberbayrischen Hund mit viel Blut, schwebenden Köpfen und berserkernden Barbieren. Vielleicht hätte es dieser Film verdient, gleichsam Luis Buñuels surrealistischem Genreklassiker „Der Andalusischem Hund“ in die Kinogeschichte einzugehen. Dass dem nicht so war, ist eine der Geschichten, von denen die dritte Staffel der Porträtserie „Deutsche Lebensläufe“ ab heute Abend erzählt.

Die Filme von Karl Valentin, wie sich der Spediteurssohn und Schreinergeselle seit seinen ersten Auftritten als Bänkelsänger in Münchner Brauereigaststätten nennen sollte, finden heute wie damals einzig in Nischen Raum. Karl Valentin ist nur mehr der lange Schlacks mit der Nase, der so schön „semmelnknödeln“ konnte. Aber auch ein Fixstern der bajuwarischen Nationalikonografie, wo er doch genau an diesem Bayern und unter den dazugehörigen Bayern so oft gelitten hat. Und so sind die „Deutschen Lebensläufe“ auch das: Geschichten von Menschen, die von ihrem Land ein ums andere Mal zu Umwegen und in Sackgassen genötigt wurden. Geschichten, die uns Nachgeborenen letztlich so etwas wie Reibungsgewinne hinterlassen haben. Die uns die Schizophrenie von kollektiv erinnerter und persönlich durchlebter Geschichte lehren. Letztlich sind alle Porträtierten auch Lebenshindernisläufer.

Den Anfang macht heute Hannah Arendt. Vielleicht die herausragendste, in sich kongruenteste unter sechs sehenswerten neuen Folgen. Auch weil Autorin Simone Reuter immer wieder zu starken Bildern findet, die ihr Hannah Arendt selbst liefert. Ihr Charisma, ihre Lust am Wissen, diese blitzgescheite Lakonie im retrospektiven Blick auf das letztgültig Grausame. Mit ihrer These von einer Banalität des Bösen provoziert Arendt die Geschichtssortierer der Nachkriegsjahre. Sie, die Jüdin, die Migrantin, liest die Protokolle des Jerusalemer Eichmann-Prozesses. Und muss lauthals lachen. Einen „Hanswurst“ nennt Arendt diesen Bürokraten des Holocaust.

Sie tut es einmal mehr in einem Fernsehinterview aus den Sechzigerjahren. In der linken Hand eine Zigarette, den ganzen Körper in schwingender Kommunikation. Es macht Spaß, ihr beim Denken zuzuschauen. Und es macht Spaß, wie Simone Reuter die körperliche Präsenz, die Erotik einer an Geist (und Quergeist) so reichen Person eingefangen hat. Eines „Mädchens aus der Fremde“, wie sich Hannah Arendt – alles Damenhafte so charmant verweigernd – selbst mit Blick auf die Verwerfungen ihrer Biografie einmal genannt hat. Verwerfungen, die sie in die Arme Martin Heideggers geführt hatten, ins Paris ihres Etappengefährten Walter Benjamin, ins amerikanische Exil.

Einem anderen Exilanten wird am kommenden Donnerstag ein schweres, dunkles Porträt gewidmet: Peter Weiss. Maler, Schriftsteller, Theaterregisseur. Auch er ein Geschichtssortierer, der für einige Unordnung zumal in den westdeutschen Erinnerungsdiskursen gesorgt hat. Ein Wortefinder, wie es analog dazu ein Verdienst aller sechs „Lebensläufe“ ist, zur Sprachkraft und zur Sprachliebe des feuilletonistischen Essays zurückzufinden. Eine Kunst, die im Fernsehen eigentlich längst abgeschafft wurde. Von „Glücksmomenten sprachlicher Verirrung“ spricht der Münchner Popliterat F. X. Karl in der von ihm verantworteten Folge über den eingangs erwähnten Lebenskünstler Karl Valentin. Die „Deutschen Lebensläufe“ finden immer wieder zu Glücksmomenten der Sprache an sich. Fernsehen zum Zuhören. Eine gute Sache das.

Der RBB wiederholt „Lebensläufe: Hannah Arendt“ am 31. 1. um 22.15 Uhr. Weitere Folgen: Peter Weiss, SWR 27. 1., 23.15 Uhr (RBB 7. 2., 22.15 Uhr); Karl Valentin: SWR 3. 2., 22.30 Uhr; (RBB 28. 2., 22.15 Uhr); Rainer Werner Fassbinder: SWR 10. 2., 22.30 Uhr (RBB 7. 3., 22.15 Uhr); Harry Graf Kessler: SWR 17. 2., 23.15 Uhr (RBB 14. 2., 22.15 Uhr); Fritz Kortner: SWR 24. 2., 23.15 Uhr (RBB 21. 2., 22.15 Uhr)