Kinder treiben Kinder ab

Seit 1996 ist die Abtreibungsrate in NRW bei jungen Mädchen um 70 Prozent gestiegen. Die Verhütung wird nachlässiger und ein Baby steht der Bildung im Weg, vermuten ExpertInnen.

VON NATALIE WIESMANN

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Nordrhein-Westfalen ist bei jungen Frauen in den vergangenen acht Jahren um 70 Prozent gestiegen, meldet die Techniker Krankenkasse NRW. Das bestätigt auch das Bundesamt für Statistik: Während 1996 bei den unter 20-Jährigen rund 2.400 Abtreibungen registriert wurden, waren es 2004 bereits 3.500 Abbrüche.

Allgemein steigt die Zahl der ungeplanten Schwangerschaften bei den Minderjährigen: Zwar liegt die Zahl der Geburten weit unter derjenigen der Schwangerschaftsabbrüche, doch auch diese haben in den vergangen Jahren zugenommen: Bei den unter 18-Jährigen in NRW sind 1996 noch 1.088 Mütter geworden, 2003 trugen 1.150 Mädchen ein Kind aus.

Ein Grund für das Ansteigen der Schwangerschaften in jungem Alter ist, dass der erste Geschlechtsverkehr immer früher stattfindet (siehe Interview). Pro Familia in Bochum geht davon aus, dass die Jugendlichen heute zwar wissen, wie es zur Schwangerschaft kommt, sie ihr Wissen jedoch nicht anwenden. „Das ist wie mit dem Rauchen“, sagt Mitarbeiterin Renate Pawellek. Auch die kostenlose Pille für Mädchen unter 20 Jahren scheint ungewollte Schwangerschaften nicht verhindern zu können: „Bei der Einnahme der Pille spielt Regelmäßigkeit in einem sonst so aufregenden und unregelmäßigen“ Leben eine große Rolle“, so Pawellek.

Angelika Kümmerling, Geschlechterforscherin an der Universität Wuppertal, vermutet hinter der steigenden Abtreibungsrate bei jungen Frauen ein verändertes Rollenbild: „Für Mädchen wird die berufliche Bildung immer wichtiger“. Sie glaubt, dass auch Eltern aus diesem Grund mehr Druck auf ihre Töchter ausüben.

Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 können Frauen straffrei in den ersten drei Monaten abtreiben, wenn sie sich einem Beratungsgespräch unterzogen haben. Doch damit haben die Mädchen die psychischen Folgen eines Abbruchs oft noch nicht realisiert, sagt Psychotherapeutin Anne Rohde, die sich an der Uniklinik Bonn um Frauen vor und nach dem Abbruch kümmert. „Je jünger die Mädchen sind, desto weniger machen sie sich Gedanken über die psychischen Auswirkungen“, sagt sie. „Oft kommt das nach Jahren wieder hoch.“