Kreuzberger Handarbeit hebt ab

Heute wird in Toulouse der neue Airbus A 380 vorgestellt. Aus Hamburg kommen Teile des Rumpfes. Aber ohne eine Kreuzberger Elektrofirma käme niemand durch die Tür in das neue Riesenflugzeug

von RICHARD ROTHER

Es ist die Verbindung von Handarbeit und Hightech, die das Besondere an Berlin ausmacht. Zumindest was den Anteil angeht, den die Hauptstadt beim Bau des neuen Airbus A 380 einnimmt. Jenes größte Passagierflugzeug der Welt, das heute in Toulouse der Öffentlichkeit vorgestellt wird und mit dem der europäische Luftfahrt- und Rüstungskonzern Eads dem amerikanischen Konkurrenten Boeing Paroli bieten will. Der A 380 ist also mehr als nur ein großes Flugzeug, er ist ein in Stahl und Kunststoff gegossener Ausdruck der – nicht nur technologischen und industriepolitischen – Konkurrenz zwischen EU-Europa und den USA.

Was hat Berlin damit zu tun? Nicht viel. Aber immerhin zwei, drei Teile des vieltausendfachen Puzzles A 380 werden in Kreuzberg produziert. Und jeder weiß: ein Puzzleteil mag noch so klein sein – fehlte es, wäre das Bild nicht vollständig, funktionierte das Gesamte nicht. „Ohne uns könnte niemand in den A 380 hineinkommen“, sagt Eberhardt Wolfram nicht ohne Stolz.

Wolfram ist Geschäftsführer der Kreuzberger Firma Holmberg. Er sitzt im dritten Stock eines Backstein-Industriekomplexes aus der Gründerzeit in der Ohlauer Straße und erzählt immer wieder, welche Schwierigkeiten der starke Euro seiner Elektroakustikfirma bereitet. Denn die wickelt branchenüblich ihr Geschäft zu großen Teilen in US-Dollar ab.

Aber das ist Alltag in der mittelständischen Firma, heute aber gibt es in der Nähe des Görlitzer Parks einen Grund zum Feiern. Schließlich steuert Holmberg alias Holmco drei Komponenten zu dem großen A 380 bei: die Handapparate – das sind die Telefone für die Kommunikation zwischen Cockpit und Besatzung (Bild Mitte); die Headsets für die Piloten; die elektronische Steuerung für die Flugzeugtüren (Bild oben). Rund 75.000 Dollar Umsatz kostet das alles pro Flugzeug (Bild unten), gut 40 Maschinen sollen zunächst gebaut werden.

Um die 10 Millionen Euro Umsatz macht die Firma mit ihren rund 100 Mitarbeitern im Jahr. Die Beschäftigten basteln – überwiegend in Handarbeit – Spezialakustikgeräte zusammen: Mikrofone, Headsets, Kopfhörer. Die kommen in Flugzeugen, Hubschraubern, in Lokomotiven, auf Schiffen, in Polizei- und Feuerwehrwagen zum Einsatz. Geräte, an die technisch ein hohes Maß an Anforderungen gestellt werden und die meist nur in geringen Stückzahlen hergestellt werden. Nötig dafür ist eben eine gelungene Mischung aus Erfindergeist, Handwerk und Hightech. Die Kreuzberger Hinterhoffirma, die 1919 gegründet wurde, bietet dafür offenbar gute Voraussetzungen – andernfalls hätte sie sich nicht in der Nische der Spezialakustikgeräte auf dem Weltmarkt behaupten können.

Dabei geriet Holmberg nur zufällig ins Luftfahrtgeschäft, das heute rund 40 Prozent des Umsatzes ausmacht. Als in den Fünfzigerjahren ein Flugzeug in Tempelhof liegen geblieben war, wurde die Firma, die damals Schallwandler herstellte, gefragt, ob sie kurzfristig ein elektronisches Ersatzteil bauen könne. Sie konnte – und begann, sich in die Branche einzuarbeiten.

Wer heute einen Auftrag wie den für den A 380 erledigen will, muss eine Vielzahl von Normen und Regeln erfüllen – eine hohe Hürde für den Markteintritt. Holmberg hat sich dieses Know-how erarbeitet, der 240 Seiten umfassende Vertrag über die A-380-Lieferung ist ein Ergebnis davon.

Rund zwei Millionen Euro hat Holmberg in die Entwicklung für den neuen Airbus gesteckt – aus eigener Tasche, versteht sich. Die Kreuzberger Firma sei damit in schmerzliche Vorleistung gegangen, sagt Firmenchef Wolfram. „Aber es ist die richtige strategische Entscheidung.“ Denn mit der Erfüllung dieses Auftrages winken zahlreiche Folgeprojekte. Wolfram spricht von einer Absicherung des Geschäfts für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre.

Die Holberg-Produktionsräume erinnern wenig an große Industrieunternehmen: keine lärmenden, großen Maschinen, auch keine supersauberen Hallen, in denen die Mitarbeiter in Ganzkörperanzügen tätig sind. Stattdessen schreibtischähnliche Tische, an denen überwiegend Frauen werkeln, basteln, friemeln: mit Zangen, Schraubenziehern und Lötkolben. So entstehen sie – die Spezialgeräte. In Kreuzberg.

Das soll so bleiben. An einen Weggang, etwa auf die grüne Wiese am Stadtrand, sei überhaupt nicht gedacht, betont Firmenchef Wolfram. „Wir haben hier günstige Mietkonditionen“, begründet Wolfram. Außerdem fühle sich der Betrieb in Kreuzberg wohl, für die Mitarbeiter aus Ost und West sei er verkehrsgünstig gelegen. Auch der technische Leiter Peter Köppel, vor einigen Jahren aus Süddeutschland gekommen, mag die Mischung aus Urbanität und Beschaulichkeit, die Berlin bietet: wohnen im Berliner Süden, arbeiten und ausgehen in Kreuzberg. „Das ist schon schön.“

Vier neue Ingenieursstellen wurden für den Airbus-Auftrag geschaffen, rund 40 in der Produktion gesichert. Darüber freuen sich auch Zulieferer in der Region, und nötige Umbauten im Betrieb haben Kreuzberger Handwerker erledigt. Bei so viel regionaler Bedeutung wundert es nicht, dass die Holmberger mit ihrem digitalen Handapparat auch gleich einen Preis eingeheimst haben: den Lilienthal-Preis, mit dem neue Projekte rund um die Luft- und Raumfahrt in Berlin-Brandenburg ausgezeichnet werden.

Und während heute in Toulouse der Holmco-Chefentwickler die A-380-Einweihung feiern darf, ist der technische Leiter und Prokurist Köppel schon in Fernost unterwegs: um in China neue Aufträge zu akquirieren. Für eine Firma aus dem Kreuzberger Kiez.

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