Argentinischer Folterer in Spanien vor Gericht

In Madrid hat der Prozess gegen den ehemaligen argentinischen Korvettenkapitän Adolfo Scilingo begonnen

MADRID taz ■ Der argentinische Exmilitär Adolfo Scilingo steht seit gestern in Madrid vor dem Richter. Dem Exkorvettenkapitän wird die Beteiligung an 30 Morden, 93 Fälle von Körperverletzung, 255-mal Terrorismus und 286 Fälle von Folter vorgeworfen. Die Angehörigen der Opfer der letzten argentinischen Militärdiktatur (1976–1983) fordern für den 58-Jährige deshalb 6.626 Jahre Haft. Scilingo gehörte während der Diktatur zur Mechanikschule der Marine (Esma), einem der geheimen Folterzentren der argentinischen Militärs.

Der Argentinier war 1997 freiwillig nach Spanien gereist und sagte dort vor Ermittlungsrichter Baltazar Garzón aus, an mehreren so genannten Todesflügen beteiligt gewesen zu sein, bei denen Gefangene ins Meer geworfen wurden, um sie so verschwinden zu lassen. Zwar widerrief Scilingo später seine Selbstbeschuldigungen, doch geht die Anklage davon aus, dass ihm mindestens die Beteiligung an zwei Todesflügen im Juni 1997 und im August des gleichen Jahres nachgewiesen werden können. Insgesamt wurden dabei 32 Menschen betäubt und aus dem Flugzeug geworfen. Allein in der Esma verschwanden 4.500 Menschen.

Vor dem Sondergericht, der Audiencia Nacional, in der Madrider Innenstadt versammelten sich zum Prozessauftakt dutzende von Opfern und Angehörige von Verschwundenen. Viele von ihnen werden in den nächsten sechs Wochen neben dem Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel und dem ehemaligen argentinischen Oberstaatsanwalt Julio Strassera unter den 200 Zeugen sein, die gegen Scilingo aussagen.

Eine der geladenen ZeugInnen ist Matilde Artes Company. Sie trägt ein Schild mit dem Foto ihrer Tochter Graciela um den Hals. „Seit 1976 weiß ich nicht, was mit ihr geschehen ist“, sagt Matilde Artes. „Graciela wurde als linke Aktivistin in Bolivien verhaftet“, erklärt die Frau, die ein weißes Kopftuch mit der Aufschrift „Großmütter der Plaza de Mayo“ trägt. Im Rahmen der Operación Condor, einem Pakt zwischen den Militärdiktaturen Südamerikas zur gemeinsamen Bekämpfung der Opposition, wurde sie nach Argentinien geschafft. „Von da an verlor sich ihre Spur“, sagt Artes.

Doch hier hört ihre Geschichte nicht auf. Graciela hatte eine kleine Tochter. Heute ist Clara 29 Jahre alt und steht zusammen mit ihrer Großmutter vor den Absperrgittern der Audiencia Nacional. „Neun Jahre lang lebte ich bei der Familie eines der Folterknechte, bis mich meine Großmutter 1985 fand“, erzählt Clara, die immer noch psychologische Betreuung braucht.

„Kinder der Opfer“ heißt eine Gruppe, die mit weißen Halstüchern und Transparenten vor dem Gerichtsgebäude steht. „Es ist ein großer Augenblick für uns“, sagt Juan Diego Botto. Der Vater des 29-jährigen in Spanien sehr bekannten Schauspielers verschwand hinter den Mauern der Esma, als Diego zwei Jahre alt war.

Noch immer weigern sich die argentinischen Behörden die Archive zu öffnen. „Erst wenn das geschieht, werde ich endlich erfahren, wo mein Vater verschwunden ist“, meint Botto.

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